Exerzitien im Alltag
Acht Menschen sind wir, zwischen 28 und 73 Jahren, drei Frauen und fünf Männer, aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen und Konfessionen: verheiratet und alleinlebend, mit und ohne Familie, studierend und berufstätig, arbeitssuchend und im Ruhestand. Unsere Gruppe besteht aus Neugierigen und Geübten.
Der Wunsch, die Fastenzeit bewusster, vertiefter zu gestalten, hat uns zusammengeführt. Eine Wegstrecke von vier Wochen liegt vor uns. Eine Zeit ausgespannt zwischen Rückzug und Alltag, Tun und Lassen, Beten und Arbeiten. Mal spannungsreich, mal in guter Balance. Mit der Erfahrung eigenen Unvermögens und der geschenkten Empfindung: „Es geht wie von selbst.“
Vier Wochen lang wollen wir täglich eine halbstündige Meditationszeit und einen abendlichen Tagesrückblick in unseren Alltag einbauen. – Jede und jeder dort, wo er oder sie lebt. Jede Woche kommen wir wieder zusammen, tauschen uns über die Erfahrungen der vergangenen sieben Tage aus und erhalten neue Tagesimpulse für die folgende Woche.
Das Treffen nach der ersten Woche lotet aus: Habe ich meinen Ort gefunden und meine Gebetszeit, meine Haltung und meine Strategie, Störungen fernzuhalten? „Ich kann das nur draußen machen – egal bei welchem Wetter“, heißt es da. Oder: „Ich suche mir eine Kirche auf dem Weg.“ und „Ich habe zu Hause eine Kerze und Blumen aufgestellt.“
„Die halbe Stunde ist mir lang geworden“, berichtet die Eine. „Ich nehme mir eine ganze Stunde Zeit und bete vorher noch Psalmen“, sagt der Andere. Ganz individuell ist der je eigene Zugang, aber getragen und begleitet vom Wissen um die Gruppe, um die Impulse, die alle am selben Tag meditieren. Eine Herausforderung: die Texte betend, erspürend zu erschließen, nicht vom Kopf her, intellektuell.
Wie ein Strauß bunter Blumen fügen sich die unterschiedlichen Resonanzen in den folgenden Treffen: Der Foto-Impuls spricht den Einen an, geht ihm unmittelbar ins Herz, und verstört die Andere. Das Gedicht ruft Erinnerungen wach, die Tagebuch-Passage löst Befremden und inneren Widerstand aus. Die wöchentliche „Zeit in der Natur“ empfindet die Eine als Quelle der Wahrnehmung, dem Anderen ist diese Zeit lästig, bleibt ohne Gewinn.
Im Hören der Geschichten der Anderen weitet sich meine eigene Wahrnehmung, schenkt sich Erfahrung hinzu, vertiefen sich Eindrücke, kommt Meditiertes zum Leben. Und es wächst das Empfinden: Jeden Tag neu kann mein eigenes Beten ins Leben weisen und das Leben Gebet werden, mitten im Alltag. Nicht immer und nicht immer gleich, aber anfänglich, unfertig, manchmal verheißungsvoll.
Das fünfte und letzte Treffen. Wir blicken zurück: Was empfinde ich jetzt? Woran erinnere ich mich? Was sehe ich kritisch? Was war bereichernd? Wie geht es weiter für mich? Viel Dankbarkeit schenken wir einander. „Schade, dass es vorbei ist“, bedauert die Eine. „Ich meditiere lieber ungegenständlich“, verabschiedet sich der Andere. – Viele Facetten ergeben ein Bild. Und dann feiern wie Agape mit Wein, Wasser und dem, was Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitgebracht haben. Ein frohes Fest.
„Alles hat seine Zeit“ (Koh 3,1) war die Überschrift unserer Alltagsexerzitien mit Gedanken aus dem Buch Kohelet. Und alles brauchte Zeit: Das Beginnen und Verorten der ersten Woche und die Spurensuche der zweiten („Gott hat die Ewigkeit in alles hineingelegt“, Koh 3,11). Dann die Ohnmacht der dritten Woche („Gott wird das Verjagte wieder suchen“, Koh 3,15) und schließlich das Weitergehen der letzten Woche und über diese hinaus – geweitet und der Sehnsucht neu folgend. („Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt“, Koh 11,9).