Auf der Slackline: Fragen an Autorin Sr. Birgit Stollhoff CJ
Frage: In "Auf der Slackline" reflektieren Sie Ihren Start in die jugendpastorale Arbeit und geben ganz offen und auch persönlich Einblick in Ihre Entscheidungsfindung. Würden Sie sich mit dem Wissen von heute noch einmal für diese Aufgabe entscheiden?
Sr. Birgit: Unbedingt und noch viel lieber als vorher! Gleichzeitig auch mit (noch) mehr Respekt. Es ist die schönste Aufgabe, die ich je gemacht habe, weil die Arbeit mit Jugendlichen so sinnvoll ist. Gleichzeitig ist und bleibt es immer ein Balanceakt mit vielem, was nicht klappt und viel mehr, was man neu versucht.
Frage: Ihr Buch ist keines der handelsüblichen Werkbücher für Jugendpastoral, sondern schildert Ihre ganz persönliche Perspektive, auch Ihre Ängste und Ihren Umgang mit herausfordernden Situationen. Was war Ihre Motivation für diesen besonderen Einblick in die kirchliche Jugendarbeit?
Sr. Birgit: Ich erlebe öfter, dass sich viele pastorale Mitarbeitende Jugendarbeit nicht zutrauen und ältere Kolleg:innen alte Bilder von Jugendarbeit haben. Da wollte ich ermutigen, Jugendarbeit einfach anzugehen, ohne alte Erwartungen bedienen zu müssen oder ohne besonderes Wissen in der Jugendarbeit zu haben. Das habe ich ja auch nicht, deswegen kann ich kein pädagogisches Fachbuch zur Jugendarbeit schreiben.
Gleichzeitig möchte ich mit dem Buch Mut machen, sich auch andere Herausforderungen zuzutrauen. Da stehen mein Weg und meine ganzen Fragen ja nur beispielhaft für viele andere Neuaufbrüche mit eigenen Fragen und Ängsten. Und ich möchte allen Leser:innen Mut machen, die eigenen Fragen und Probleme und Irrtümer nicht nur anzunehmen, sondern auch offen im Team oder vor Vorgesetzten zu artikulieren. Wir müssen in neuen Jobs nicht alles wissen, wir müssen nur Fragen stellen. Und dann im Team gemeinsam die Antworten und Lösungsmöglichkeiten bewerten.
Frage: Jugendarbeit ist eine der wichtigsten Aufgaben von Kirche heute – doch in der öffentlichen Debatte spielt sie nur selten eine Rolle. Ärgert Sie das?
Sr. Birgit: Ärgern schon nicht mehr. Ich bin eher überrascht, wie selbstverständlich Jugendarbeit als DAS Zukunftsfeld keine Rolle mehr in der Kirche spielt. Klar, es gab die Jugendsynode. Aber in der Institution und auch in den Gremien ist sie wenig Thema. Gleichzeitig sind alle erleichtert, wenn jemand Jugendarbeit macht und unterstützen sie dann gerne. Und eben – dann wird sie auch Thema, das ist meine Erfahrung konkret in Hannover. Es ist wie das Huhn und das Ei: Wir brauchen engagierte Jugendliche in der Kirche, um Jugendarbeit in der Kirche zu machen, Themen von Jugendlichen einzubringen und so wieder aktive Jugendliche zu gewinnen. Aber gerade kreisen wir in der Kirche zu viel um uns – die Hauptamtlichen, Priester und Gremien und damit um Christen so ab 40 Jahren. Dazu kommt, dass Corona - und auch der Umgang in den Gemeinden damit - ein massiver Einschnitt war – für die Jugendlichen, den Kontakt zu ihnen und für deren Da-Sein in der Kirche.
Frage: Kinder und Jugendliche gehören zu denen, die in der Corona-Pandemie am meisten gelitten haben. Was kann Kirche, was können wir als Christen tun, um jungen Menschen gute Startchancen für die Zukunft und ein starkes Fundament für gute Entscheidungen mitzugeben?
Sr. Birgit: Ich bin überzeigt, dass Kirche Jugendlichen viel geben kann für die Zukunft!
Wir haben geschützte Räume, wo sie sich treffen können, sichere Ansprechpartner:innen außerhalb von Familie und Schule. Wir haben finanzielle und logistische Ressourcen. Wir haben gut fundierte Weiterbildungen und Ferienangebote. Und eine Kirche, die immer schon international war. Das sind so die äußerlichen Hilfen.
Dazu kommt: Wir haben eine Haltung und eine Lehre, die alle Menschen annimmt, egal wie sie sind. Die Menschen Großes zutraut und Potentiale in Jede:r sieht. In der Jugendliche an sich viel mitgestalten und Verantwortung übernehmen können – jenseits der schulischen und beruflichen Leistungskategorien.
Was manchmal nur fehlt ist der Mut und mal ein kleiner konkreter Schritt, die Kirche den Jugendlichen anzuvertrauen und verändern zu lassen.
Frage: Sie beschreiben, dass auch Mary Ward, die Gründerin Ihres Ordens, der Congregatio Jesu, mit Ihnen auf der symbolischen "Slackline" tanzt – eine Frau, die vor 400 Jahren gelebt hat. Was kann eine solch historische Persönlichkeit jungen Menschen von heute sagen?
Sr. Birgit: Ich habe es gerade wieder bei Schüler:innen in Altötting erlebt: Mary Ward kann Jugendlichen sagen: Geht deinen Weg. Scheitere. Suche weiter. Scheitere nochmal. Suche weiter. Finde heraus, was Du kannst und wer Du bist. Dann suche Dir FreundInnen und mach es einfach. Halte durch, wenn Widerstand kommt. Halte aus, dass andere mit ihren Bedenken auch Recht haben. Aber lass den anderen nicht das letzte Wort haben über Dein "richtig" und "falsch", über Dein "fühlt sich gut an" oder "ne, ist nicht", über Deinen Weg, Deine Entscheidungen und Deinen Wert!