Von Feldkirch nach Innsbruck
Doch ein Pilgerexperiment, obwohl das in der MEP durch das Armutsexperiment ersetzt ist? Die englische Noviziatsleitung Sr. Cecilia Goodman hatte noch vor ihrem Tod das Pilgern für die Zeit des Besuchs der englischen Novizin im mitteleuropäischen Noviziat angeregt. Sr. Hilmtrud Wendorff hatte diese Anregung aufgegriffen. Zunächst war ein Pilgerweg von München nach Feldkirch durch das Allgäu geplant: zwei Orte mit Bezug zu Mary Ward, verbunden durch den Jakobsweg. Dann wurde erst die Richtung umgedreht: der Anger in München als Ort der Inhaftierung Mary Wards 1631, bezeichnet als Häretikerin, erschien als Blick- und Besinnungsrichtung beim Gehen geeignet. Zuletzt fragte Sr. Monika Glockann, nach Tipps für den Weg durchs Allgäu befragt: „Warum geht ihr dann nicht gleich den richtigen Weg der Mary Ward, den sie selbst einmal gereist ist?“ So kam es zum Pilgerweg von Feldkirch nach Innsbruck.
Vorbereitet durch Besuche bei den Pilgerschuhen und dem Pilgerhut in Altötting und dem Gemalten Leben in Augsburg brachen Sr. Theodora Hawksley (Novizin der englischen Provinz) und Sr. Britta Müller-Schauenburg (Novizin der MEP) am 17. Juli 2017 mit dem Zug von Nürnberg nach Feldkirch auf.
Verschiedene Risiken damals und heute
Wie wir aus der englischen Vita Mary Wards wissen und auf zwei Bildern des Gemalten Lebens sehen können, kam Mary Ward an Heiligabend 1626 auf dem Weg von Rom nach München in Feldkirch an, betete dort in der eiskalten Pfarrkirche nachts noch lange, und besuchte am Weihnachtsmorgen das Hochamt in der Kirche des Kapuzinerklosters. Beide Kirchen gibt es noch. Die Novizinnen konnten in ihnen verweilen – in der Pfarrkirche zwar nicht nachts, aber doch lange, und im Kapuzinerkloster, das einfache, schöne Gästezimmer neu hergerichtet hat, verbrachten sie die erste Nacht.
Pater Laurentius (Guardian) und Bruder Wolfgang (Gastpater) empfingen sie und zeigten ihnen das Kloster mit seinen geistigen und geistlichen Schätzen. Der wichtigste Schatz dieses Klosters ist eine Schädelreliquie des Hl. Fidelis. Dieser war 1622, also kurz vor dem Besuch Mary Wards, in einem nahen Bergdorf als Seelsorger unterwegs durch einen Schlag auf den Kopf in den Konfessionsstreitigkeiten des 30-jährigen Krieges zum Martyrer seines Glaubens geworden. Mit einem Fidelis-Segen, der mit der Reliquie über dem Kopf des Gläubigen gespendet wird, begann am nächsten Morgen der Pilgerweg zu Fuß.
Etwa 185 Kilometer und, auf verschiedene Anstiege verteilt, insgesamt 4.100 Höhenmeter sind auf dieser Strecke zu überwinden. Die Unterwegsstationen Bludenz – Dalaas – St. Anton am Arlberg – Zams – Tarrenz (ein Ruhetag am Sonntag) – Silz – Inzing waren nach pilgergeeigneten Übernachtungsmöglichkeiten ausgewählt. Der Weg verläuft erst „gegen den Strom“ bergan, über den Arlbergpass, und danach „mit dem Strom“ an der Rosanna und später am Inn entlang.
Es gab kleine Stürze auf rutschigen Berghängen, etwas öde Strecken auf dem Asphalt der Straßen, aber auch wunderschöne kleine Wanderwege voller Blumen, Kühe und mit glänzendem Glimmerschiefer. Noch zweimal boten Ordenshäuser, viermal nichtklösterliche Pilgerherbergen und dreimal Privatzimmer ein Dach über dem Kopf. Zu essen gab es meist Brot, zu trinken Wasser aus den Bächen und Brunnen und über einem winzigen Esbit-Kocher zubereiteten Tee. Das Wetter war erst heiß, ab dem zweiten Tag voller Gewitter und am Ende an einigen Tagen ein kalter Dauerregen, und verlangte vor allem zum Schluss einigen Humor.
Als Mary Ward 1626/27 im Winter auf dem Weg unterwegs war, hatte gerade die vollständige Schließung der Schulen in Italien auf päpstliche Anweisung begonnen. Und sie hatte erkannt, dass sie Leid am besten fröhlich ertragen, ihre Feinde lieben und alles als von Gott und nichts als von sich selbst kommend ansehen solle. Im Gepäck hatte sie Empfehlungen für eine Gründung in München. Was mag sie unterwegs beschäftigt haben? Sie war jedenfalls befasst mit Vorbereitung auf Leid und mit Hoffnung. Gerade auf beschwerlichen Wegstrecken konnten die Novizinnen versuchen, sich äußerlich und innerlich hineinzuversetzen und sich darüber austauschen: Wie schwer kann es im Weg mit der Gemeinschaft werden? Wie gelang es Mary und wie gelingt es uns, am inneren Weg zu bleiben? Wohin gehen die Wege?
Ziel des Vorangehens liegt in Gottes Hand
Das Unterwegssein kann Gebet sein, auch dann, wenn man nur mit dem jeweils gegenwärtigen Schritt beschäftigt ist. In die Zeit des Pilgerns fielen die Feiertage des Christophorus und des Jakobus, und damit noch mehr Reisesegen. Außerdem ist aus der englischen Vita bekannt, was Mary Ward betete, wenn sie auf Reisen war, und wir haben es teilweise mitgebetet. Als wir am 27. Juli in Innsbruck ankamen, waren wir trotzdem nass und müde.
Unser erstes Ziel dort war das Grab Karl Rahners, über dessen Theologie wir am letzten Wandertag sprachen. Das zweite entdeckten wir zufällig daneben, in der Fürstengruft der Jesuitenkirche: das Grab jenes Leopold V., der damals Mary Ward in Innsbruck freundlich empfing und ihr für die Weiterreise eine Kutsche bis Hall und von dort ein Floß bis Wasserburg am Inn ermöglichte.
Wir nahmen als das Floß von heute das Reisemittel der Armen: den Flixbus, gleich bis München.
Dort bildete der Weg durch das München Mary Wards den letzten Teil der Pilgerns: eine Messe in der Kreuzkapelle, in der Mary und ihre Gefährtinnen Kommunion empfingen und Beichten gingen, ein Besuch bei den Gräbern Maximilians I. von Bayern und seiner Frau Elisabeth, auch diese bestattet in der Gruft in der Jesuitenkirche („Wittelsbacher-Gruft“), ein Besuch der ehemaligen Orte von Münchener Häusern, die heute nicht mehr stehen, und im Anger, wo noch einmal lange Zeit fürs Gebet war, und zuletzt eine Führung im Archiv des Nymphenburger Hauses mit den Zitronensaftbriefen als dem „Inneren“ des Anger-Gedenkens.
In den wenigen Jahren zwischen der Reise durch Innsbruck und dem Gefängnisaufenthalt im Anger hat Mary Ward das erste Münchener Haus gegründet, aber andererseits auch die Häuser in Wien und Budapest. Obwohl all diese Häuser noch einmal aufgehoben wurden bzw. unsere Geschichte nur auf Umwegen daran anknüpfen konnte, lässt sich der Gedanke nicht vertreiben, dass in den Fruchtfolgen dieses „Umweges“ von Feldkirch über München (statt des ursprünglich geplanten direkten Weges weiter nach England) der Anfang der Mitteleuropäischen Provinz ungefähr in ihrer gerade jetzt wieder gewonnenen Gestalt liegt.
Für eine Novizin der MEP, die sich dieser Tatsache überhaupt erst im Laufe des Pilgerns so ganz bewusst wurde, ist diese Pilgerreise etwas sehr besonderes. Für eine Novizin der englischen Provinz war sie das aber auch. Die Vertrautheit miteinander, aber auch beider Novizinnen mit der Mitteleuropäischen Provinz, ist gewachsen.
Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ