Wie wird man eigentlich Provinzoberin?
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Am 23. Februar findet in Deutschland die vorgezogene Bundestagswahl statt – nötig wurde dies durch die Auflösung der Regierungskoalition im Bundestag durch Bundeskanzler Scholz. Auch in der Congregatio Jesu stehen Umbrüche in der Leitung an: Ende diesen Jahres endet die Amtszeit der bisherigen Provinzoberin Cosima Kiesner.
Verantwortlich für ca. 250 Schwestern in vier Ländern, hunderte Mitarbeitende, Finanzen, Immobilien und vieles mehr – das ist die Aufgabe der Provinzoberin in der Mitteleuropäischen Provinz der Congregatio Jesu. Gewählt wird sie nicht, dennoch ist der Prozess der Entscheidungsfindung geradezu fundamental basisdemokratisch.
Ein undemokratisch-basisdemokratischer Prozess
Provinzoberin der Congregatio Jesu wird man nicht durch eine direkte oder indirekte Wahl. Das Verfahren zur Bestimmung der Provinzoberin in der Congregatio Jesu, die das nominelle und faktische Oberhaupt der Provinz ist, der sie vorsteht, ist gleichzeitig überhaupt nicht demokratisch und sehr viel demokratischer als jede Bundestagswahl. Und das funktioniert so:
Schritt 1: Die schriftliche Konsultation
Schon mehr als ein Jahr bevor die Amtszeit der gegenwärtigen Provinzoberin endet, bekommt jede Schwester der Provinz Post von der Generalleitung aus Rom. In der Mitteleuropäischen Provinz, die sich von Hannover im Norden bis Meran im Süden und Ungarn im Osten erstreckt, sind das ungefähr 250 Briefe. Darin befindet sich die zweiteilige „Schriftliche Konsultation zur Ernennung der Provinzoberin“. Im ersten Teil ist jede Schwester der Provinz aufgefordert, die aktuelle Lage der Provinz zu beurteilen – sowohl die positiven Aspekte, als auch die Bereiche, in denen eine „weitere Entwicklung erforderlich“ wäre. Zudem soll sie bis zu drei Prioritäten nennen, die nach ihrer Einschätzung die nächste Provinzoberin für die Zukunft setzen sollte.
Im zweiten Teil wird die Schwester aufgefordert, zwei Namens-Vorschläge für die nächste Provinzoberin mit Begründung aufzuschreiben. Als Hilfestellung werden ihr dabei mehrere Punkte genannt, die sie bei den Überlegungen berücksichtigen soll: unter anderem die Fähigkeit zuzuhören, mit hohem Druck umzugehen, ein Team zu leiten oder Entscheidungen zu treffen.
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Diese schriftlichen Konsultationen werden strikt vertraulich zur Generaloberin nach Rom geschickt, die eine Zusammenfassung der Antworten zur Situation der Provinz erstellt sowie eine alphabetische Liste der Namen, die am häufigsten für das Amt der Provinzoberin genannt wurden. Liste und Zusammenfassung gehen dann rechtzeitig vor der Visitation wieder zurück an alle Schwestern der Provinz, die sich damit betend und reflektierend auf die Gespräche während der Visitation vorbereiten sollen.
Schritt 2: Die Visitation
Nach der schriftlichen Konsultation kommt die sogenannte Visitation. Dabei besucht die Generaloberin zusammen mit einer ihrer Assistentinnen die Provinz und sucht mit jeder Schwester das persönliche Gespräch. Jedes dieser Gespräche dauert in der Regel etwa eine Stunde und wird in absoluter Vertraulichkeit geführt.
Bei 250 Schwestern bedeutet das vor allem eines: Viel Zeit und eine sorgfältige Vorbereitung auf diese intensiven Wochen. Für die aktuelle Visitation der Mitteleuropäischen Provinz hat die Generaloberin Sr. Veronica Fuhrmann fast zwei Monate veranschlagt, von Mitte Februar bis Mitte April. In dieser Zeit reist sie von Kommunität zu Kommunität durch Deutschland, Österreich, Südtirol und Ungarn und führt täglich bis zu sechs Einzelgespräche. Jede Schwester der Provinz wird dabei gleichberechtigt angehört und ihre Anliegen werden in den Entscheidungsprozess einbezogen.
Schritt 3: Die Entscheidung
Nach Abschluss dieser Gespräche reist die Generaloberin wieder zurück. Zusammen mit ihrem Rat entscheidet sie aufgrund all dieser gewonnenen Erkenntnisse, wer die zukünftige Provinzoberin werden wird.
Die neu ernannte Provinzoberin sucht daraufhin vier Schwestern für den Provinzrat, eine Provinzsekretärin und eine Provinzökonomin, und schlägt sie der Generaloberin zur Ernennung vor. Die Aufgabe des Provinzrats ist es, die Provinzoberin in ihrer Amtsführung zu unterstützen.
Die Amtszeit der Provinzoberin beträgt sechs Jahre, in begründeten Ausnahmefällen kann sie für eine weitere verkürzte Amtszeit wiederernannt werden. Voraussetzungen für dieses Amt sind ein Mindestalter von 35 Jahren und eine Ewigprofess, die mindestens fünf Jahre zurück liegt.
Abschließender Vergleich
Demokratisch – im Sinne von „vom Volk gewählt“ – ist dieses Vorgehen nicht. Und doch ist es sehr viel basisdemokratischer als das Wahlsystem in der Bundesrepublik: In der Congregatio Jesu zählt wirklich jede Stimme. Nicht nur mit einem Kreuzchen für eine Mehrheitsbildung, sondern all die Sorgen, Wünsche, Vorschläge und Warnungen jeder Schwester werden gehört und einbezogen.