Wallfahrt ins Staunen: Impuls von Sr. Beate Neuberth CJ
Einige große Wallfahrten habe ich in meinem Leben gemacht: nach Taizè, auf den Spuren Mary Wards, nach Rom und ins Heilige Land.
Meine letzte und vermutlich auch die letzte in meinem Leben, habe ich nach Frankreich, nach Chartres gemacht und bezeichne sie als eine Pilgerfahrt ins Staunen.
Was ist, was bedeutet Staunen? Wikipedia schreibt: "Staunen ist eine Emotion beim Erleben von unbekannten Schönem und Großem" und / oder "etwas mit Verwunderung wahrnehmen".
Wer die Kathedrale von Chartres aus dem 13. Jahrhundert von außen anschaut, sie dann auch betritt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Nur einige staunenswerte Beispiele möchte ich skizzieren.
Faszinierend sind die Portalbögen; sie sind keineswegs glatte oder leicht geschwungene Steine, wie ich sie vom Bamberger Dom kenne, sondern voller Halbfiguren, eng an eng und nicht nur eine Reihe sondern gleich drei. Selbst die Sockel der Heiligenfiguren sind unterschiedlich geformt. Wieviel Geduld, wieviel Kreativität, wieviel Fachwissen, theologische Erkenntnis stecken dahinter – in einer Zeit, die kaum technische Hilfsmittel hatte, die die Arbeit erleichtert hätten.
Chorschranken können einfache Wände sein, mit Fresken versehen. In Chartres sind sie Meisterwerke aus dem 16. Jahrhundert. Szene an Szene reiht sich aneinander: in Stein gehauene Glaubensgeschichten. Die Bibel wird lebendig: Jesus heilt einen Blinden, die Ehebrecherin wird vor Jesus gezerrt, Jesus auf dem Kreuzweg … , alles ist klar erkennbar. So hat man dem Volk geholfen, ihm das Leben und Wirken Jesu näher zu bringen, da es ja die hl. Schrift nicht lesen konnte oder auch nicht durfte. Den Abschluss über diesem Fries bilden Spitzbogen, filigraner geht es nicht mehr: ein Wunder, dass diese feinsten Steingebilde – spinnennetzartig – halten und eine unbeschreibliche Zierde sind. Wer kann da nicht staunen?
Chartres ist zwar besonders bekannt durch sein großes, besterhaltenes Labyrinth, berühmter sind jedoch seine Glasfenster. Ihre Farben aus dem 12. Jahrhundert faszinieren jeden Schauenden; selbst wenn das Sonnenlicht nicht durch die Scheiben bricht, sind die Farben unbeschreiblich. Ich versuche es trotzdem, wenn auch stümperhaft:
Sie sind kraftvoll, intensiv, nuancenreich, helle und dunkle, warme und kalte Farben. Sie zeigen das volle Leben und in jedem Fenster kann man wieder Heilsgeschichte kennenlernen. Warum würden diese Fenster jede Brandkatastrophe aushalten – wie in Paris Notre Dame geschehen? Die Glasstärke betragen 5 – 7 cm: Fenster für die Ewigkeit.
Alle Fenster zu studieren, dazu die Rosetten wäre eine Lebensaufgabe.
Ich bin dankbar, dass ich – mit einer Gruppe von Ordensleuten und Interessierten aus der Erzdiözese Bamberg im Juni 2023 2 ½ Tage Chartres erleben durfte, nicht mehr und nicht weniger. Mein Staunen darüber erfüllt mich noch im Nachhinein ganz.
Text: Sr. Beate Neuberth CJ
Fotos: Ursula Weidig
Labyrinth von Sr. Beate Neuberth CJ