Von Zweifeln, die Gott aufleuchten lassen
Wenn eigentlich alles perfekt sein sollte, kommt die Angst vor der Sinnlosigkeit: "Torschlusspanik". Auch Sr. Birgit Stollhoff CJ kennt diesen Gefühlssturm – und erlebt ihren Zweifel doch auch immer wieder als kleine Sollbruchstelle für die Gnade Gottes.
"Also, Gerstenmeier, frisch gestorben"- so reagierte 1944 der Jesuit Alfred Delp auf die Verkündigung des Todesurteils durch die nationalsozialistische Justiz. Tage danach notiert er: "Ich bin noch nicht erschrocken und noch nicht zusammengebrochen. Die Stunde der Kreatur wird schon auch noch schlagen..." Also doch, auch er, der Märtyrer, der den Prozess sicher und souverän durchgestanden hatte, ahnte, dass auch für ihn noch eine Phase des Zweifels und der Mutlosigkeit kommen würde.
Damit steht er in guter Nachfolge von Johannes dem Täufer. Johannes den Täufer kennen wir als wilden Mann aus der Wüste, der überraschend demütig wird und sich selbst zurücknimmt, als Jesus kommt. Er ist auch das ungeborene Kind, das vor Freude im Bauch hüpft, als er beim Besuch von Maria den ebenfalls ungeborenen Jesus schon wahrnehmen kann. Ein Mensch mit kindlichem Gottvertrauen und ein starker Mann also – mehr Glaube geht nicht, oder? Johannes tritt stark auf als Bote Gottes, mahnt, kritisiert und droht und handelt überzeugt bis provokativ – alles, was einen echten Propheten ausmacht. Und doch zweifelt er am Schluss kurz vor seiner Enthauptung.
Ich finde es beruhigend, dass zwei so starke Glaubensgestalten zweifeln. Umgangssprachlich nennen wir es Torschlusspanik – die "Angst vor dem Endgültigen". Dann, wenn eigentlich alles perfekt sein sollte, der Weg gegangen, der große Kampf gekämpft ist, genau dann, kurz vor dem Ziel, kommt die blanke Panik, die Angst vor der Sinnlosigkeit. Und meist entfesselt sich dieser Fragen- und Gefühlssturm in fraglien Übergangssituationen: kurz vor der Hochzeit, vor dem Aufbruch ins Ausland, vor der Ewigprofess … Oder auch – weniger dramatisch: kurz, bevor das ach so besinnliche Weihnachtsfest beginnt, kurz bevor das lange überlegte ungewöhnliche Geschenk ausgepackt wird, oder auch: kurz, nachdem man die Absage an die Familie ausgesprochen hat. Kurz vor oder nach dem entscheidenden Moment kommt die Frage: Ist das so richtig?
Wir dürfen zweifeln und wir dürfen es auch an so hochemotionalen Festen – zwischen Alltagsstress und Fest-Anspruch, zwischen Wohnung-putzen und alles-muss-perfekt-sein. Der Zweifel, so erlebe ich es bei mir immer wieder, ist die kleine Sollbruchstelle für die Gnade. "There is a crack, a crack in everything. That's how the light gets in", singt Leonard Cohen. Der Zweifel bedeutet für mich, dass ich meine Welt nie perfekt gestalten kann, dass ich nie für alle Ewigkeit die 100 Prozent richtige Entscheidung treffen kann. Der Zweifel sagt mir, dass mein Leben immer zerbrechlich bleibt und dass ich letztlich ganz auf Gott angewiesen bin. Ein Ordensleben ist nicht richtig, weil ich die bestdurchdachte Entscheidung getroffen habe, sondern weil ich es jeden Tag mal mehr recht und mal mehr schlecht lebe. Weihnachten ist kein Hochfest, weil die Gans perfekt gebraten ist und die Kinder die Zimmer aufgeräumt haben. Der Partner ist nicht besser oder schlechter, nur weil wir ausgerechnet heute am Hochzeitstag streiten.
Gott wollte Mensch werden und er wollte in diese Welt kommen, nicht in eine bessere oder andere. Und so kann ich dann Weihnachten wieder gut ertragen. Kann zur Krippe gehen: Gott mit Ochs und Esel im Saustall geboren – schlimmer ist es bei mir dann doch auch nicht.
Evangelium nach Matthäus (Mt 11,2–11)
In jener Zeit hörte Johannes im Gefängnis von den Taten des Christus. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Siehe, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige.
Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten. Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bahnen wird.
Amen, ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
Danke an katholisch.de für die Möglichkeit, den Text zu übernehmen.