Von Vorbildern und dem guten Leben

„Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?“  singen Kinder in der Fernsehsendung Sesamstrasse zu Beginn. Und schieben hinterher: „Wer nicht fragt, bleibt dumm!“ Fragen hilft, klüger und ein besserer Mensch zu werden – das lernen Kinder schon. Jede Frage führt zum eigenen Denken, in den echten Dialog mit den Anderen und Gott.

Das wissen die Menschen, die sich an Johannes den Täufer wenden: Was sollen wir tun, um ins Himmelreich zu kommen? So ähnlich hat sich diese Frage auch meine Ordensgründerin Mary Ward gestellt, 1600 Jahre nach Johannes: Wie muss ein Mensch sein, um vor Gott für „gerecht“, also gut befunden zu werden? Und ihre Antwort hat sie in die Vision der „gerechten Seele“ gefunden: Er muss frei, wahr und gerecht sein.

Das deckt sich mit Johannes: Gerecht bedeutet bei Ihm, Maß zu halten, sich an Recht und Gesetz zu respektieren, geben, was geht. Für Mary Ward bedeutete Gerechtigkeit „im rechten Verhältnis zu stehen“ – zu sich und Gott, den Mitmenschen, zum Besitz. Gerechtigkeit ist nicht Gleichheit, sondern eher eine Balance von individuellen Möglichkeiten und gesellschaftlichem Rahmen. Dazu gehört auch, sich selbst richtig einzuordnen. Und das macht etwa Johannes in aller Demut, mit einem ehrlichen Blick auf sich selbst: Jesus, der kommt, wird stärker sein als er, der wilde Mann. Gegenüber Jesus ist er klein. Auch da dockt sich Mary Ward an: Wahr sein, wahrhaftig sein bedeutet für sie: „Zeige dich, wie Du bist und sei, wie Du dich zeigst.“ Wir sollen echt sein, müssen uns nicht verstecken, sondern uns der eigenen Wirklichkeit stellen. Und das gesteht Johannes auch den Anderen ein: Er verurteilt die Zöllner und Soldaten nicht für das, was sie sind. Er beurteilt, wie sie persönlich handeln.

Johannes bleibt auch später authentisch. Erst legt er sich mit dem König an, weil er dessen Affären verurteilt. Dafür wird er als mächtiger Feind zu Tode verurteilt. In dieser Situation erscheint er überraschend schwach – und leugnet das nicht: „Bist Du der Messias?“ fragt er Jesus aus dem Gefängnis heraus voller Todesangst und Zweifel. Zweifel und Fragen gehören zum stärksten Mann, zur engagiertesten Ordensschwester, zu den kämpferischen Laien in der Kirche. Zweifel sind ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. Wenn wir so sein können – gerecht handeln, wahr im Auftreten, dann sind wir auch frei. Freiheit ist für Mary Ward „die Freiheit, alles auf Gott zu beziehen – nur wer echt ist und um seine Beziehungen weiß, kann wählen und sich für Gott entscheiden.

Ein guter Mensch zu sein, ist gar nicht so schwierig – das ist die frohe Botschaft dieses Adventsevangeliums. Manchmal hilft das auch bei den kleinen Fragen, wie etwa: Wie überstehe ich den Advents- und Weihnachtsstress in Liebe? „Nimm nicht mehr, als Dir zusteht an Plätzchen und Geschenken, sei ehrlich mit Deinen Bedürfnissen, Vorlieben und Abneigungen und nimm Dir die Freiheit, Dich auch mal ein Viertelstündchen in die Stille zum Christkind zurückzuziehen!“ würden vielleicht Johannes und Mary Ward sagen. Vielleicht. Vielleicht würden beide auch überfordert in unseren Weihnachtsmärkten und Innenstädten stehen – aber das ist eine andere Frage…

Dieser Text ist zuerst auf katholisch.de erschienen.

Text: Sr. Birgit Stollhoff CJ