Abschied und Wiedersehen: Bibel-Impuls
Es gibt wenige Weisheiten, die mich tatsächlich ein Leben lang begleiten und geprägt haben. Eine Weisheit habe ich während meines Studiums gelesen, im Uni-Magazin "Unicon". Dort wurde ein Manager interviewt. Die letzte Frage lautete: "Gibt es etwas, was Sie den Studenten mitgeben wollen?" Und dieser Manager hat geantwortet: "Man sieht sich immer zweimal im Leben."
Den Satz habe ich mir gemerkt, und er war hilfreich. Zunächst habe ich den Satz eher im Sinne der Nemesis verstanden, also der ausgleichenden Gerechtigkeit. Bei Menschen, die mir etwa arrogant kamen oder mich verletzt haben, habe ich mir gedacht: "Du siehst mich wieder! Irgendwann gibt es Genugtuung oder Vergeltung, irgendwann zeige ich es dir!" Später wurde aus dieser eher zornigen Haltung dann ein Gefühl der Ebenbürtigkeit: "Wir sehen uns wieder. Und dann kapierst du es auch!"
Mit Beginn der Berufstätigkeit habe ich dann erkannt, dass das ein eher kindisches Denken ist. Es gibt keine ausgleichende Gerechtigkeit. Zumindest keine, die so ist, dass ich Gott darin erkannt hätte. Arrogante Leute bleiben arrogant, Menschen, die mich verletzt haben, verletzen weiter – lernen sie dazu? Wir alle lernen vielleicht zu wenig im Leben. Dieses "Wiedersehen und ich bin stärker" hat mich gelegentlich motiviert und stärker gemacht. Eingetroffen ist es selten.
Es bleibt die Frage: Wie verabschiede ich mich gut, vor allem, wenn es schwierig war? Wie gehe ich
weiter? Abschiede sind immer belastet. Beim Abschied, so scheint es, wird das Verhältnis eingefroren. Die gegenseitigen Bilder nimmt man mit in die Zukunft. Die Summe dessen, was die Beziehung an Gutem und Schlechtem gebracht hat, wird gezogen. "Man sieht sich immer zweimal im Leben" klingt da wie eine Hintertür, ein kleiner Faktor X, ein Fragezeichen an diesen Zustand der Vergangenheit. Die Vergangenheit bleibt, aber die Zukunft kann dieses Verhältnis ändern. Damit wird aus der ungewissen Zukunft eine Option für die eigene Stärke.
In diesem Sinne habe ich auch das Staub-Abschütteln Jesu im Evangelium (Lk 10, 1–20) verstanden: den Dreck, das Unangenehme nicht mitnehmen, sondern ostentativ dalassen. Weitergehen als Demonstration von Macht und Unabhängigkeit.
Wichtiger finde ich mit zunehmender eigener Stärke aber einen anderen Aspekt. Keinen, der so eine Vergangenheit gutreden will. Sondern einen, der die Zukunft gut bedenkt, im Wissen, dass und weil man sich vielleicht wiedersieht. Und der lautet: sich so zu verabschieden, dass man sich ein zweites Mal sehen kann – und dass dieses zweite Mal besser wird.
Diese Einstellung hilft mir schon in der Gegenwart: Weil ich mich versöhnt verabschiede, kann ich auch andere, neue Beziehungen offen beginnen. Und so gehört zum Staub-Abschütteln auch der Friedenswunsch im neuen Haus.
Inzwischen plane ich meine Abschiede – und zwar alle Abschiede, auch die zu Menschen, mit denen es schwierig war – so, dass wir uns gut wiedersehen können. So, wie man sich verabschiedet, so trifft man sich wieder. Wenn es schwierig war, versuche ich vielleicht noch, ein Ritual oder eine Liturgie einzubauen, die es ermöglicht, das Schwierige gut stehenzulassen. "Man sieht sich immer zweimal im Leben – und damit das zweite Mal besser wird, verabschieden wir uns jetzt in der Gegenwart anständig." So ein Abschied, der sich auf die Zukunft konzentriert, hilft mir auch, weniger Ballast mit mir herumzutragen.
Und es gibt einen letzten Aspekt, den ich allmählich ahne: "Man sieht sich immer zweimal im Leben" bedeutet: "Situationen wiederholen sich vielleicht, aber Rollen ändern sich." Ich kann eine ähnliche Situation, die ich in einer anderen Rolle erlebe, beim zweiten Mal besser, friedlicher lösen – wenn ich mir die Vergangenheit verziehen habe und daraus stark geworden bin.
So verstehe ich Jesu Gesten besser, das Staub-Abschütteln und den Friedengruß: Staub abschütteln, Ärger dalassen, um dem nächsten Haushalt offen und wohlwollend begegnen zu können. Mit einer positiven Erwartung neu beginnen, alte (Streit-)Fragen neu angehen und in neuen Konstellationen Gemeinschaft immer wieder neu erleben.
Sr. Birgit Stollhoff CJ
Danke an die Katholische SonntagsZeitung, in der dieser Text zuerst erschien und die uns die Übernahme ermöglicht.