Zwischen Revolution, Kälte und Corona – das Lachen der Kinder

Sr. Anna Schenck CJ berichtet nach Abschluss ihres Libanonaufenthalts.

Keiner kommt in diesen Tagen an der Corona-Pandemie vorbei, auch ich in meinem abschließenden Bericht über meinen Aufenthalt im Libanon nicht – zumal mir die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus eine etwas vorzeitige, ziemlich überstürzte Abreise aus dem Libanon beschert haben. Aber ich will all die Erfahrungen und Eindrücke nicht vergessen, die ich im Libanon davor und währenddessen machen durfte.

Mein Wunsch, im Rahmen meines Auslandsaufenthalts im Tertiat noch einmal in ein arabisches Land gehen und für Flüchtlinge tätig sein zu dürfen, führte mich in Absprache mit der Ordensleitung Anfang Oktober 2019 in den Libanon. Für sechs Monate sollte ich mit den Jesuiten in Taanayel auf der Bekaa-Ebene leben und als Freiwillige in den Projekten des Jesuitenflüchtlingsdienstes (JRS) im Nachbarort Bar Elias tätig sein, letztlich war ich 5 ½ Monate vor Ort.

Beinahe von Anfang an war mein Aufenthalt von außergewöhnlichen Umständen geprägt, das hat meine Zeit im Libanon wie ein roter Faden durchzogen.

Mein Lebensort

Recht große Kontinuität gab es hinsichtlich meines Lebensortes: Vom Anfang bis zum Ende habe ich im Konvent der Jesuiten in Taanayel gelebt. Dieses Zuhause auf Zeit, die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft gab mir eine Verankerung vor Ort, Halt und auch Sicherheit in sonst eher turbulenten Zeiten.

Gemeinschaft und Natur

Ich bin den sechs Jesuiten, die zur Kommunität gehören, sehr dankbar, dass sie mich, eine CJ-Schwester, so offen und herzlich aufgenommen haben und ich das alltägliche Leben mit ihnen teilen durfte. Selbstverständlich ist dieser Alltag in einer kleinen apostolischen Kommunität stark von den Aufgaben der einzelnen, dem unterschiedlichen Rhythmus, die diese auch mit sich bringen, verschiedensten Abwesenheiten und Reisen geprägt. Das ist Teil unseres Lebens, auch ich war ja an den Schultagen nicht zum Mittagessen im Haus.

Eine Gemeinschaft im Rücken zu haben, Menschen, die ich ansprechen kann, wenn ich etwas brauche, aber auch meine Erfahrungen und Fragen teilen möchte, war für mich ein großes Geschenk. Die Verbundenheit in der ignatianischen Spiritualität und Lebensweise war über kulturelle Differenzen hin spürbar.

Eine große Hilfe war für mich zudem, dass zum Haus der Jesuiten nicht nur eine Kirche und eine Kapelle sowie ein Exerzitien- und Gästehaus gehörten, sondern auch ein großes Gelände mit einem Park und einer Landwirtschaft. Sich an der frischen Luft und in der Natur frei bewegen zu können, ist im Libanon alles andere als selbstverständlich. Ich hatte auch Freude daran, die jahreszeitlichen Veränderungen in der Natur und der Landschaft zu beobachten.

Einsatz für den Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS)

Mein Einsatz für den JRS war hingegen stark geprägt, von den unruhigen Zeiten. Zunächst, ich kann es nicht oft genug betonen, war und ist da der Krieg in Syrien zu nennen, der inzwischen im zehnten Jahr ist. Ohne diesen Krieg gäbe es ja die vielen Flüchtlinge im Libanon nicht, über eine Million Syrer leben dort in überwiegend prekären Lebensverhältnissen.

Hinzu kam in meiner Zeit die Revolution, wie die Libanesen selbst die massiven landesweiten Proteste gegen die politischen Eliten bezeichnen, die am 17. Oktober 2019 begannen und zum Rücktritt der bisherigen Regierung geführt haben. Über Wochen war das öffentliche Leben im Libanon durch diese Proteste, die sich nicht zuletzt in der Blockade wichtiger Straßen äußerten, weitgehend lahmgelegt.

Nicht zuletzt mussten die Schulen mehrere Wochen und später immer wieder tageweise geschlossen bleiben, weil Schüler*innen und Lehrer*innen nicht sicher zur Schule kommen konnten. So musste auch ich viele Tage im Haus bzw. auf dem Gelände bleiben und anderen Beschäftigungen nachgehen. Die Unsicherheit, ob am nächsten Tag Schule ist oder nicht, wurde zu einer Übung darin, von einem Tag auf den anderen zu leben.

Hinzu kam die wirtschaftliche Krise des Landes, die sich bereits vor der Revolution abzeichnete: die hohe Staatsverschuldung, die mangelhafte Versorgung mit Elektrizität, Wasser, Müllentsorgung etc. Die langanhaltenden Proteste haben diese wirtschaftliche Krise jedoch massiv verschärft. Die Lebenshaltungskosten sind im Lauf meines Aufenthalts stark gestiegen, auch die Arbeitslosigkeit, die Einschränkungen im Zahlungsverkehr und beim Import wichtiger Güter… Die Belastungen und die hohe Verunsicherung der Libanesen, aber auch der Syrer aufgrund dieser Situation waren für mich vielfach spürbar und haben sich immer weiter verschärft.

Einsatz in der Schule

Mein Einsatz in einer Schule des JRS in Bar Elias, in der im Zweischichtbetrieb rund 500 syrische Kinder unterrichtet werden, war dann auch, zumindest bis zur Bildung einer neuen Regierung Mitte Januar, stark von dieser politischen und wirtschaftlichen Krise betroffen – wobei die Auswirkungen der Unsicherheit, ob morgen Schule ist oder nicht, viel gravierendere Herausforderungen für den Unterricht darstellten, von der Verunsicherung der Kinder, die eigentlich Zuverlässigkeit und Struktur brauchten, einmal ganz zu schweigen.

Schule als sicherer Raum

Die Einschränkungen durch winterliche Witterungsverhältnisse mit Schnee und Eis haben waren im Vergleich eher überschaubar. Seit Ende Februar ist die Schule nun aus Sorge vor einer Ausbreitung des Corona-Virus im Lande geschlossen. Es gab während meines Aufenthalts wirklich nur wenige Wochen, in denen der Schulbetrieb einfach regulär verlaufen ist.

Inmitten all dieser Krisen durfte ich jedoch die Arbeit an „meiner“ JRS Schule kennen und vor allem die Menschen dort lieben lernen. Ich bin wirklich sehr beeindruckt von dem Engagement der Lehrer*innen und des gesamten Teams, die unter schwierigen Rahmenbedingungen die syrischen Kinder unterrichten und diesen mit Liebe und Geduld begegnen. Ich habe unmittelbar erlebt, dass es viel kostet, sich dem drohenden Gefühl von Hoffnungslosigkeit angesichts der Lebensbedingungen der Kinder – alle Schüler*innen leben in Zeltstädten –, der fehlenden Unterstützung zuhause, der Unruhe und auch Gewalt zu widersetzen und hoffnungsfroh an die Kinder und deren Zukunft zu glauben.

Für viele Kinder ist die Schule nicht nur ein Ort der Bildung, sondern auch ein geschützter und sicherer Raum. Der JRS reagiert darauf mit einem eigenen psycho-sozialen Programm und einer Sozialarbeiterin an jeder Schule.

Und dann die Schüler*innen mit all ihrer Freude und Lebendigkeit, ihrem Lachen und Elan. Natürlich war für mich auch das Schwere in ihrem Leben spürbar, das sie selbstverständlich auch in die Schule mitbringen, nicht immer fiel mir der Umgang damit leicht. Aber ich habe die Kinder einfach in mein Herz geschlossen. Dort klappte auch die Kommunikation, die sonst durch meine begrenzen Arabisch-(Dialekt-)Kenntnisse und ihrem rudimentären Englisch begrenzt war.

Als das Wetter besser wurde und wir wieder mehr Sport im Freien machen konnten, waren die Sportstunden unser gemeinsames Highlight. Generell sind einfach persönliche Beziehungen zu den einzelnen Kindern entstanden. Eines meiner besonderen Geschenke dieser Zeit ist die Erfahrung, dass allein meine aufmerksame, liebevolle Präsenz für die Menschen eine große Bedeutung haben kann. Das schallende „Sister Anna!“ der Kinder zur Begrüßung werde ich jedenfalls sehr vermissen.

Am Ende war es die weltweite Corona-Krise mit all den damit verbundenen Einschränkungen, die zu einem vorzeitigen Ende meines Aufenthalts führte. Besonders schmerzhaft für mich: Aufgrund der Schulschließung von einem Tag auf den anderen, ebenso meiner Abreise konnte ich mich nicht von all den Menschen verabschieden.

Was bleibt

Es bleibt nicht nur eine große Dankbarkeit über alle Erfahrungen, die ich in diesen Monaten machen durfte, die Bewunderung für den Einsatz vieler, die Verbundenheit mit den Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind. Ich nehme auch das Bewusstsein mit, dass ich all die Menschen in einer, auch unabhängig von Corona, existenziell schwierigen Situation zurückgelassen habe.

Der Syrienkrieg geht weiter, weitere Konflikte und Kämpfe in der Region haben ebenfalls kein Ende gefunden. Die Wirtschaftskrise verschärft sich, und die Nichtregierungsorganisationen bangen um die Zukunft ihrer Projekte. Die Lebendigkeit und Freude, die Hoffnung auf Frieden und Zukunft, die Mitmenschlichkeit aller Gewalt zum Trotz will ich ebenso wenig vergessen wie die Not und das Leiden so vieler Menschen.

Helfen ist möglich

Wer helfen möchte: Die Misereor-Fastenaktion unterstützt in diesem Jahr besonders die Menschen in Syrien und dem Libanon, auch die Projekte des JRS. Sie ist, gerade aufgrund der ausfallenden Gottesdienste und weiterer Aktionen, ganz besonders auf Spenden und eine andere Öffentlichkeitsarbeit angewiesen:

Zum Spendenformular: https://www.misereor.de/spenden/spendenformular?fb_item_id=26163&weani=1&country=DE

Zu möglichen Aktivitäten:

https://fastenaktion.misereor.de/fastenaktion-aktionen/kollekte?_ga=2.157213307.1784947929.1585168888-1312143081.1569490065#c37072