Libanon: Das Prasseln des Regens auf Zeltplanen
Oder: Wie leben Familien in einem Flüchtlingscamp?
Ich habe zugesagt, an dieser Stelle immer mal wieder Einblicke in das zu geben, was ich während meines Tertiatsaufenthalts hier im Libanon erlebe. So möchte ich heute etwas über die Lebenssituation der syrischen Kinder schreiben, die mir in der Schule begegnen:
Es zeichnet „meine“ Schule aus, dass sie nicht nur in unmittelbarer Umgebung eines Flüchtlingscamps liegt, sondern dass auch alle Schülerinnen und Schüler in Flüchtlingscamps und nicht etwa in Baracken oder gar Wohnungen leben. Wobei ich gleich dazu sagen muss, dass es im Libanon offiziell gar keine Flüchtlingscamps gibt, sondern nur „Informal Tented Settlements“, so etwas wie „informelle Zeltsiedlungen“.
In der Tat handelt es sich dabei nicht um riesige Camps, wie man sie vielleicht aus anderen Ländern vor Augen hat, sondern jeweils um eine Ansammlung von vielleicht 30 Zelten auf einem Stück Land, das jemand für diesen Zweck vermietet hat – ja, „vermietet“, die Flüchtlinge zahlen auch für den Grund, auf dem ihr Zelt steht. Von diesen Zeltsiedlungen gibt es jedoch sehr, sehr viele auf der Bekaa-Ebene, wo ich lebe und eingesetzt bin.
Was diese Unterkünfte gemeinsam haben: Dass es sich wirklich um Zelte handelt. Diese Zelte dürfen lediglich aus Holz und Plastikplanen bestehen. Alle anderen Materialien oder „teilweise dauerhafte Strukturen“ wie Beton wurden im letzten Jahr offiziell von der Regierung verboten, entsprechende Behausungen wurden abgerissen.
Wie aber leben die Menschen konkret in einem solchen Zelt? Ein Großteil des Lebens einer Familie – von häufig rund zehn Personen – spielt sich in einem größeren Raum ab, dort in der Regel auf dem Boden, der zum Teil mit Matten und Teppichen ausgelegt ist. In diesem Raum gibt es einen Ofen, der mit allem befeuert wird, was sich zum Verbrennen eignet. In der Nähe dieses Ofens kann es auch im Winter durchaus kuschelig warm sein.
Wehe jedoch dem Tag, an dem die Familie nichts hat, um den Ofen zu befeuern. Dann wird es in einem Zelt angesichts der Außentemperaturen in der Nacht von knapp über null Grad (gelegentlich auch darunter) schnell empfindlich kalt.
Etwas abgetrennt von diesem Hauptraum befindet sich ein kleiner Raum, in dem gekocht wird, zudem eine sehr einfache Waschgelegenheit. Bis zu einer Toilettenmöglichkeit muss man in der Regel ein Stück gehen. Seit ich hier bin, leuchtet mir unmittelbar ein, warum sich einige Nicht-Regierungsorganisationen speziell um die Wasserver- und -entsorgung in diesen Zeltstädten kümmern – wo die Kanalisation in diesem Land ohnehin nicht besonders gut ausgebaut ist, in den Zeltstädten jedoch zunächst schlicht nicht existent.
Neben der Kälte stellt in dieser Jahreszeit auch der Regen eine große Belastung in dieser Lebenssituation dar, inzwischen hatten wir selbst ein paar Schneetage. Der Regen prasselt dann unmittelbar auf die Zeltplanen – ein Geräusch, das mir inzwischen auch in der Schule sehr vertraut ist, wo die Dachplatten direkt über unseren Köpfen auf den Dachbalken liegen. Auch wenn mich dieses Geräusch an meine früheren Camping-Erfahrungen erinnert, hier hat es nichts von „wilder Romantik“, weil es sich ja um einen Dauerzustand handelt und die Menschen nicht notfalls oder nach ein paar Tagen in ein Gebäude umziehen können. Von Lücken im Dach, durch die der Regen durchsickert, und der störenden Geräuschkulisse einmal ganz zu schweigen.
Noch unangenehmer wird es jedoch außerhalb der Zelte auf den unbefestigten Wegen dazwischen. Diese verwandeln sich schnell in Schlammwüsten oder riesige Pfützen. Wenn ich dann sehe, dass etliche Kinder in Schlappen oder einfachen Halbschuhen ohne Strümpfe (oder ohne Jacke, Schal, Regenschutz…) in die Schule kommen, wird mir bereits beim Anblick kalt.
Inzwischen wundert es mich nicht, dass die syrischen Kinder, aber auch ihre Eltern, so häufig krank sind. Unter diesen Lebensumständen verkühlt man sich schnell und oft auch länger, ohne dass genügend Abwehrkräfte da wären, von den hygienischen Verhältnissen einmal ganz zu schweigen. Zudem stecken sich die Familienmitglieder durch das Leben auf so engem Raum auch leicht untereinander an.
Zu alledem kommen in der Regel auch Geldsorgen hinzu. Für viele Familien ist oft nicht klar, wie sie das tägliche Brot und auch das Wasser bezahlen sollen, geschweige denn Kleidung, Medikamente etc. Das lässt den Alltag schnell zum Kampf ums Überleben werden – weshalb es mich nicht wundert, wenn die Schüler*innen manchmal einfach keinen freien Kopf für den Lernstoff haben. Noch bewegender ist es natürlich, wenn Schüler*innen von der Schule genommen werden, um arbeiten zu gehen und so zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen.
Es ist für mich auch nicht verwunderlich, dass etliche der Syrer ihre Lebenssituation im Libanon inzwischen als unerträglich, ja schlicht un-lebbar empfinden und sich für eine freiwillige Rückkehr nach Syrien entscheiden – trotz der ebenfalls problematischen Situation, die sie dort erwartet. Denn neben der Winterkälte trifft die wirtschaftliche Krise des Libanon – die steigenden Lebenshaltungskosten bei immer weniger Arbeitsmöglichkeiten, die inzwischen noch dazu extrem schlecht bezahlt werden, die Krise der Landeswährung und die Einschränkungen im Zahlungsverkehr – die hier lebenden Syrer besonders hart.
Mich berührt die Lebenssituation der Kinder zutiefst, die ich (inzwischen beinahe) tagtäglich in der Schule erlebe, ihre Lebendigkeit, die Freude in ihren Augen, aber auch die Traurigkeit, Anzeichen von Müdigkeit, Krankheit bis hin zu Gewalt. In alldem erscheint der Einsatz der verschiedenen Nicht-Regierungsorganisationen wie auch die des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes für die Menschen hier besonders bedeutsam.
Text: Sr. Anna Schenck CJ