Kleine Kirche, große Wirkung
Sr. Birgit Stollhoff CJ hat von September 2015 bis Ende Februar 2016 ihr Auslandspraktikum im Rahmen des Tertiats in der Pfarrei Sankt Eugenia in Stockholm absolviert. Die Pfarrei Sankt Eugenia ist einer der beiden Standorte der Jesuiten in Schweden. Die katholische Kirche in Schweden ist klein, sie besteht aus einem einzigen Bistum. Die 141.000 Katholiken stellen nur 1,6 Prozent der Bevölkerung – neben etwa 72 Prozent, die der evangelischen Staatskirche angehören.
Stockholm / Augsburg. Woher wissen die Frauen, dass wir hier für sie da sind?“ frage ich. Es ist Samstagnacht, 22 Uhr, und wir stehen mit einem kleinen Tisch, der beladen mit Kaffee, Kakao, Broten und Kuchen ist, um die Ecke von Stockholms Straßenstrich. „Die wissen das, weil wir seit 10 Jahren jeden Samstagabend hier sind.“ antwortet mir Ki Vesterberg, Leiterin des „Team Eugenia“.
Dieser einfache Dienst an den Prostituierten ist ein kleiner, nicht unumstrittener Dienst in der Pfarrei St. Eugenia. Müsste man hier nicht mehr sozial arbeiten, missionarischer? Für P. Dominik Terstriep als Leiter der Pfarrei ist er genauso wichtig: „Jesus selber hat die Menschen auch ,nur' in ihrer Zerbrechlichkeit angenommen und darauf vertraut, dass diese Begegnung mit Gottes Barmherzigkeit sie verwandelt.“
Anlaufstelle für viele Einwanderer
Am nächsten Morgen ist dann „Leben in Fülle“ angesagt: Allein im Hochamt treffen sich über 600 Katholiken aus allen Kontinenten und Glaubenstraditionen, und – unter den Schweden – vielen Konvertiten. Das Hochamt ist feierlich, für deutsche Augen vielleicht traditionell, mit einer Predigt, die auch den anspruchsvollsten kritischen Gottesdienstbesuchern gerecht wird. Auch die Morgenmesse, die Messe für „Groß und Klein“ und die englische Abendmesse sind gut besucht.
Stockholm ist schön und bietet mehr als den rein touristischen Blick. Foto: Sr. Bigit Stollhoff CJ
Beides – das „nur“ der kleineren sozialen Engagements und der große Schmelztiegel Messe – stehen für mich für die katholische Kirche in Schweden. Es ist eine kleine Kirche mit kleinen Möglichkeiten und gleichzeitig ein großes, buntes Zuhause für Viele.
„Meine“ Gemeinde Sankt Eugenia in der Stockholmer Innenstadt ist eine interessante Pfarrei. Mitten in der Hauptstadt eines säkularisierten Landes mit einer noch dominierenden protestantischen Kirche hat sie eine Sonderrolle: Sie ist Anlaufstelle für viele Einwanderer – Akademiker, aber auch Arbeitsmigranten und Flüchtlinge. Geprägt wird die Pfarrei von den sechs Jesuiten, die dort leben: Es gibt viele Vorträge, Glaubenskurse für die Katecheten, ignatianische Gebetsangebote, viel geistliche Begleitung und eine vernetzte Flüchtlingsarbeit.
Für ein Praktikum ist das ein idealer Ort. Ich hatte bislang nur wenig Erfahrung in pastoraler Arbeit. In S.ta Eugenia konnte ich auf kleinem Raum die ganze Vielfalt kennenlernen und mithelfen: Ich habe in der Kinder- und Jugendkatechese jeden Samstag mitgearbeitet sowie in der internationalen „student-community“ Sonntagsabends und an Wochenenden. Ich konnte Familienbesinnungstage mitgestalten und verschiedene Gebetszeiten vorbereiten. Ich habe die anderen Angebote kennengelernt: Gebetsgruppen, den Elterntreff, die Glaubenskurse sowie Kurse des Newman-Institutes, der von den Jesuiten getragenen theologischen Fakultät im benachbarten Uppsala.
Daneben habe ich wie beim Team Eugenia bei den sozialen Angeboten mitgearbeitet: ein- bis zweimal die Woche im zentralen Treffpunkt der Caritas, bei Angeboten für Obdachlose und Flüchtlinge. Und schließlich konnte ich auch meine bisherige Arbeit mit Medien fortsetzen – mit dem katholischen pädagogischen Institut haben wir deutsche Erklärfilme der von mir mitgestalteten Reihe „Katholisch für Anfänger“ synchronisiert, ich habe verschiedene Artikel geschrieben. Und auch einen Vortrag über Mary Ward durfte ich halten – lange geübt auf Schwedisch!
Die Autorin inmitten einer internationalen Studentengemeinde. Foto: privat
Überrascht hat mich von Anfang an, mit welcher Leichtigkeit und Offenheit hier der Glaube gelebt wird. Erklären lässt sich das mit der Geschichte der Kirche: Die katholische Kirche war immer eine Einwanderer-Kirche. Integration ist hier eine Selbstverständlichkeit, weil jeder und jede weiß, wie es ist, neu zu sein. Und auch die Konvertiten sind „Einwanderer“ mit vielen Fragen. Gerade für diese Gruppe ist der Begriff „Berufung“ lebendig und voller Bedeutung. Die Kirche hat keine institutionalisierte Caritas, keine großen Einrichtungen und nur sehr wenig Hauptamtliche. Die Freiwilligen, der Pfarrer und gegebenenfalls Ordensleute verantworten alle pastoralen und sozialen Angebote in der Pfarrei. Die Zusammenarbeit ist leicht und unkompliziert, weil jeder sich verantwortlich fürs Ganze fühlt und weiß, dass er die Hilfe des Anderen braucht.
Es passt auch zur Schwerpunktsetzung der Pfarrei „Not, Gastfreundschaft und Vertiefung“. Für mich war diese Ausrichtung in allem spürbar. Gerade in der Flüchtlingskrise haben Gemeindemitglieder sich sofort, kurz- wie langfristig und selbstverständlich engagiert. Als Neue wird man schnell integriert, ich als „Schwester ohne Uniform“ – was auch Anlass für viele nette Gespräche war. Und die Angebote zur Weiterbildung, auch in Zusammenarbeit mit dem Newman-Institut, sind vielfältig und werden breit angenommen.
Typisch schwedisch - Bandy, eine Mischung aus Fußball und Eishockey. Foto: Sr. Birgit Stollhoff CJ
Und in dieser Umgebung konnte ich auch eine weitere, neue Erfahrung machen: Ich war nicht stark in dieser Zeit, ich konnte für mich scheinbar nur wenig „leisten“. Ich konnte erst die Sprache nicht, später habe ich mir beim Joggen das Bein gebrochen und konnte auch wenig helfen. Es waren die Kollegen und Ehrenamtlichen, die mich immer wieder mitgenommen, einbezogen und ermutigt haben. Sie haben mir besonders Schweden gezeigt: etwa Vadstena, den Ort der Heiligen Birgitta oder Elfvinggården, eine Stockholmer Wohnanlage nur für Frauen oder Bandy, eine nordeuropäische Mischung aus Eishockey und Fussball. Wichtiger als die einzelnen Angebote war mein Dasein. Und diese Erfahrung ist ein besonderes Geschenk.
Minderheitenkirche in Schweden ist für mich eine Erfahrung, die mich sehr motiviert – es ist eine lebendige, vielfältige und internationale Kirche. Weniger Geld und Hauptamtliche bedeuten hier mehr und unabhängigeres ehrenamtliches Engagement, gepaart mit viel Interesse an Glaubensfragen und Spiritualität.
Text und Fotos: Sr. Birgit Stollhoff CJ