Neuanfang in der Krise: Zum 5. Fastensonntag
Den folgenden Text hat Sr. Birgit Stollhoff CJ für die Katholische SonntagsZeitung geschrieben. Wir freuen uns, dass wir ihn für unsere Website übernehmen dürfen.
„Wenn all dies vorbei ist,
mögen wir es nie wieder für selbstverständlich halten, wie es ist:
einem fremden Menschen die Hand zu geben,
aus vollen Regalen einzukaufen,
sich mit den Nachbarn zu unterhalten,
ein gut gefülltes Theater zu besuchen,
Freitagabends auszugehen,
die Kommunion zu empfangen,
nur eine Routine-Untersuchung zu haben,
das Chaos vor Schulbeginn jeden Morgen durchzustehen,
mit einem Freund Kaffee zu trinken,
im vollen Stadion Fangesänge anzustimmen,
tief Luft zu holen,
sich dienstags auch einmal zu langweilen. Das Leben selbst wird nicht mehr selbstverständlich sein.“
so schreibt die christliche Schriftstellerin Laura Kelly Fanucci auf Instagram.
„Wenn als dies vorbei ist,
werden wir vielleicht entdecken,
dass wir ein wenig mehr die Menschen geworden sind,
die wir sein wollten,
die wir berufen sind zu sein,
die wir zu sein hoffen.
Und vielleicht bleiben wir so, besser
füreinander
wegen des Schlimmsten.“
Schwierige Zeiten wie derzeit die Corona-Pandemie stellen alles selbstverständlich infrage. Dass man in manche Länder nicht mehr reisen kann – das war noch einfach. Freunde und Familie nicht mehr besuchen zu dürfen, weniger. Kinder, die nicht mehr in die Schule gegen dürfen – da wackelt die Normalität gewaltig!
Krisen machen Angst. Und sie machen zu Recht Angst. Jede Bedrohung der Normalität zeigt ihre Brüchigkeit. Die offenen Grenzen, an die wir uns für uns (und nicht etwa für die Flüchtlinge) gewöhnt hatten – gelten die noch? Sichere Arbeitsplätze, ein breites Kulturangebot – haben wir das noch? Selbst der Gottesdienst scheint infrage gestellt. Der „Basso continuo“ christlichen, respektive katholischen Lebens – gibt es den noch? Braucht es den noch, wenn er scheinbar so einfach ausgesetzt werden kann?
Die Angst ist begründet: Künstler und selbstständige Dienstleister fürchten um ihre Existenz, haben keine Aufträge, bekommen kein Honorar. Wenn „Home-Office“ in manchen Berufen gerade so funktioniert, dann es ist es den Schulen technisch oft nicht möglich und pädagogisch für einen langen Zeitraum kaum sinnvoll. Wenn es für uns schon schwierig ist, in unserer Gemeinschaft oder Familie mehrere Tage „aufeinanderzusitzen“ – wie schrecklich wird das erst in Beziehungen mit gewalttätigen Partnern sein? Was für den einen ein Husten ist, ist für den anderen lebensgefährlich. Und denken wir in unserer Not noch an die Flüchtlinge in den Lagern, denen es 1.000 Mal schlimmer ergeht? Krisen vernichten – auch.
Welche guten, zukunftsträchtigen Möglichkeiten Krisen bergen, zeigt für mich am eindrücklichsten der Pianist Igor Levit. Nachdem die Konzerte abgesagt wurden, bietet er jeden Abend live über die Sozialen Medien Twitter und Instagram ein Wohnzimmerkonzert an. Klassische Musik, so sehr ich sie liebe, hatte ich lange vernachlässigt – jetzt sind die Konzerte ein Highlight des Tages! Inzwischen ziehen viele andere nach, Großeltern lesen den Enkeln via Skype vor, es gibt Gebetsgemeinschaften in den Sozialen Netzwerken, Museen bieten virtuelle Rundgänge… (Viele gute Ideen finden Sie in unseren täglichen Anregungen.)
Igor Levit ist ein medienaffiner Pianist, ein Künstler, der sich auch politisch äußert. Auch das zeigt die Krise: Dass die Querdenker, Menschen, die sich mit ihrer Biographie nicht in ein Schema pressen lassen, gerade in diesen Zeiten gute Brückenbauer sind. In der Krise wachsen neue Helden – die Krankenpflegerinnen und-pfleger, aber auch die Verkäufer in den Supermärkten. Wann wurde ihnen schon einmal in einer Ansprache eines Kanzlers gedankt? Krisen verändern den Blick und lenken zu neuen Möglichkeiten.
Was wird von der Krise bleiben? Was ist das Beste, was wir gezeigt haben, gelernt haben?
Vielleicht mehr dringend notwendige Digitalisierung? Bessere Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern? Ich hoffe, dass sich die Älteren, wenn es um Beschränkungen zugunsten des Klimas geht, an die Schülerinnen und Schüler erinnern, die sich ihretwillen so eingeschränkt haben. Ich hoffe, dass wir aufhören, Flüchtlingen die Not, vor der sie geflohen sind, klein- und wegzureden. Ich freue mich jetzt schon auf die erste große Messe in der Kirche, auf das Wiedersehen mit den Jugendlichen im Jugendcafé. Selbst einen verspäteten Zug werde ich wieder zu schätzen wissen. Und die Verkäuferinnen und Verkäufer werde ich in Zukunft hoffentlich noch viel mehr behandeln wie diejenigen, die meinen Alltag und meine Aufgaben gewährleisten, jeden Tag, unauffällig, aber nie mehr ungesehen.
Das Buch Ezechiel, aus dem heute gelesen wird, fordert in der Krise: “Schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!“ Und das geht diesmal, so erstaunlich es klingt, auch via Internet vom Wohnzimmersessel aus! Behüte Sie Gott, passen Sie auf sich auf, aber bleiben Sie neugierig!
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Quellen:
twitter.com/stevesilberman & instagram.com/thismessygrace