Hirte und Schaf zugleich

Anlässlich des Festes der Apostolin Maria Magdalena wurde Sr. Britta Müller-Schauenburg am 21. Juli mit zur Predigt in der Pfarrkirche St. Ludwig in Ansbach eingeladen. Sie sprach über den Hirten: darüber, wie wechselseitig sein Verhältnis mit seiner Herde ist; dass wir unsere Weiden teilen sollen; und darüber, dass wir immer Hirte und Schaf zugleich sind.

Sr. Britta Müller-Schauenburg in der Pfarrkirche St. Ludwig in Ansbach.

Lesungen, Psalm und Evangelium vom 16. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr B

(Jer 23,1-6; Ps 23,1-3.4.5.6, Eph 2,13-18; Mk 6,30-34)

 

[Norbert Jung:]

Wir begrüssen ganz herzlich Sr. Britta Müller-Schauenburg aus Augsburg von der Congregatio Jesu.

 

[Sr. Britta:]

Vielen Dank für die Einladung, heute bei der Predigt dabei zu sein und Ihnen mein Glaubenszeugnis bringen zu dürfen!

Ich möchte mit Ihnen vom Thema des Hirten ausgehen.

Als ich etwa zehn Jahre alt war, lernte ich meinen Großonkel kennen. Er hatte viele Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft verbracht und als Gärtner gearbeitet und konnte keine Familie gründen oder Beruf lernen, sondern hütete bei unserer Tante bei Bad Gandersheim als Schäfer die Schafe. Sie waren eine große Herde. Ich erlebte, wie er sie jeden Tag herausführte an Grasstellen entlang der Wege oder unter Obstbäume. Er war nicht mehr jung und gesund und es war absehbar, dass das nicht mehr lange gehen würde. Ich begriff, dass Schafe ohne Hirte nicht mehr beweglich sind, denn ohne Hirte müssen sie innerhalb eines umzäunten Weideareals gehalten werden. Sie taten mir leid, und ich beschloss, als Nachfolgerin meines Onkel Walter einmal Hirtin bei meiner Tante zu werden.

Es kam dann doch anders. Es kamen noch andere Berufswünsche, erst Kindergärtnerin, dann Pferdewirtin, dann Lehrerin, und tatsächlich wurde ich schließlich zuerst Altenpflegerin. In der Pflege fragte ich mich allerdings oft, ob ich da nicht in Wirklichkeit doch Hirtin geworden war, nur in anderer Weise. Die Berufung blieb.

Es entstand bei mir eine immer innigere Verbindung mit der katholischen Kirche, als Erwachsene wurde ich getauft, es kam das Studium der Theologie, und auf sehr verschlungenen Wegen die Berufung in die Gemeinschaft, der ich jetzt angehöre: die Congregatio Jesu, gegründet von Mary Ward.

 

[Norbert Jung:]

Der Weg Mary Wards war auch etwas verschlungen.

 

[Sr. Britta:]

Ja, Mary Ward stand sogar immer wieder in Spannung zu ihren kirchlichen Hirten. Sie verstand damals von Gott, dass sie eine Gemeinschaft gründen sollte für Frauen nach dem Vorbild des Jesuitenordens, ohne Klausur, bereit zu apostolischer Arbeit - was heute selbstverständlich ist, damals aber noch nicht möglich war. Sie erlebte einerseits diese Spannung, und andererseits eine große Liebe zur Kirche und zum Gehorsam. So erfuhr sie eine Schwierigkeit, die heute von vielen Menschen mit dem Hirtenbild erfahren wird. Viele Menschen empfinden das Verhältnis zwischen Hirten und Schafen heute als ein starkes Gegenüber, eigentlich wie zwei getrennte Seiten. Der Hirte sagt, wo es langgeht. Und die Schafe sollen folgen. Aber das trifft nicht das Lebensgefühl vieler Menschen. Sie gehen ihre eigenen Wege recht selbständig und haben trotzdem gar nicht immer das Gefühl, sich zu verlaufen und zu verlieren. Vielmehr gehören heute Freiheit und Selbständigkeit in unserer Gesellschaft zu den Werten und Errungenschaften.

Und im heutigen Evangelium sehen wir auch ein ganz anderes Verhältnis zwischen Hirte und Schaf. Da sehen wir nämlich, wie eine Person Hirte und Schaf zugleich ist. Vielleicht ist es in Ihrem Leben auch so? Einmal sorgt man sich stärkend um andere, und ein andermal ist man selbst bedürftig und schwach und bedarf der Unterstützung. Im Evangelium sehen wir: Sogar unser Gott ließ sich in der Menschwerdung auf diese Grundsituation ein: Einerseits weidete er die Menschen wie keiner vor ihm, und andererseits war er selbst auch erschöpft, er suchte die Ruhe mit seinen Jüngern letztlich auf der Weide seines Vaters. Es war zuerst sein Vorschlag: "Lasst uns an einen einsamen Ort gehen". Und wir nennen unseren Herrn als Christen auch: Lamm Gottes.

 

Sr. Britta Müller-Schauenburg und Domkapitular Norbert Jung bei der Dialog-Predigt.

[Norbert Jung:]

Jesus und die Apostel kommen müde zurück und haben etwas zu berichten. Das ist wohl wichtig, dass wir zusammenkommen und uns anhören und austauschen?

 

[Sr. Britta:]

Mich hat in diesem Zusammenhang schon immer der Begriff der "Versammlung" fasziniert. Er bezeichnet ein inneres und ein äußeres Moment, wie wir es in der 2. Lesung gehört haben. Einerseits sind wir innerlich versammelt, man spricht auch von "innerer Sammlung", wir sind Eines im Geiste. Und andererseits sind wir als Kirche versammelt als ein Leib, zum Beispiel hier am Sonntagmorgen, als soziale Versammlung. Auch das heutige Evangelium beginnt damit, dass die Apostel sich als Gruppe wieder versammelten. Die 2. Lesung beschreibt das Zusammenkommen aus verschiedenen Richtungen als Friede: wenn "die beiden" zusammenkommen, die Getrennten, und in der Person des Erlösers ein Gemeinsames werden - am Ende heißt es nicht mehr "die beiden", sondern "wir beiden": die Zusammenkunft hat sich also bis ins Innerste, bis in die Sprache hinein vollzogen. Die Mauern der Feindschaft - nicht die Feinde! - sind niedergerissen. So ist Christus unser Friede. Die 1. Lesung heute sagt, dass Gott selbst seine Schafe sammelt, und setzt dazu: damit sie fruchtbar sind und sich vermehren. Man hört den Schöpfungsbericht hindurch: diese Sammlung bewirkt, dass der Mensch neu so gedeihen kann, wie es ihm bei der Schöpfung zugedacht war. Im Frieden.

 

[Norbert Jung:]

Das Ausruhen ist auch für Mitarbeiter in pastoralen Berufen und alle Menschen in der Kirche wichtig.

 

[Sr. Britta:]

Ruhe ist wichtig. Sie zu finden kann in einer Gemeinschaft leichter sein. Man kommt oft leichter in einem gemeinsamen Gebetsrhythmus so zur Ruhe. Wie auch wir heute früh in dieser Kirche. Man hat Vorbilder.

Das Evangelium macht uns dabei allerdings auf etwas Wichtiges aufmerksam, das man auch in einer Schwesterngemeinschaft erleben kann: dass es auch manchmal zuerst gar nicht leichter wird. Das können Sie sich vielleicht vorstellen: In einer weltweiten Gemeinschaft sich auf ein gemeinsames Vorangehen zu verständigen und aus einem gemeinsamen Geldbeutel zu leben, das kann erst einmal sogar mehr Mühe machen. So müssen auch die Jünger im heutigen Evangelium zunächst noch eine Zusatz-Schleife gehen. Die Menschen kommen ihnen an den als einsam erhofften Ort nach und haben auch Hunger nach der Weide des Herrn. Erst einmal ist es wieder nichts mit der Ruhe. Und das berührt ein zentrales Thema unserer 2. Lesung: die Gerechtigkeit. Es heißt dort: Der Name Gottes soll sein "Der Herr ist unsere Gerechtigkeit".

Es ist wichtig, dass nicht die einen Menschen sich zurückziehen und derweil die anderen Menschen sich halb totarbeiten müssen - sei es bei uns im Kleinen, sei es global, im Verhältnis zwischen globalem Norden und Süden. Unsere Weide sollen wir teilen. Nicht uns alleine mit "unserem" Gott zurückziehen, sondern das, was er uns gibt, mit allen teilen. Das kann zunächst noch einmal anstrengender werden. Aber auch für das Teilen der Ruhe hat uns Jesus ein Beispiel gegeben. Es geht darum, dass alle etwas davon bekommen und wir gemeinsam auf der Weide des Vaters sein können, in Gerechtigkeit.

 

[Norbert Jung:]

Danke.

 

Amen.

 

Text: Sr. Britta Müller-Schauenburg, Bilder: Alexander Biernoth