"Es heißt, wir lernen am Unterschied"

Das letzte Jahr vor den letzten Gelübden ist das sogenannte Terziat. Es dient der Herzensbildung und dem weiteren Hineinwachsen in die Internationalität der Congregatio Jesu. Einen wesentlichen Teil dieser Zeit verbringe ich in England. Weil wir ein internationaler Orden sind, wollte ich meine Sprachkenntnisse aufbessern. So habe ich die ersten drei Monate in Llandudno bei den Schwestern des IBVM verbracht, Englisch gelernt und mich ansonsten auf die Begegnungen eingelassen.

 

 

In Llandudno angekommen, hat mich zunächst die paradiesische Natur fasziniert. Nur wenige Meter sind es bis zum westlichen Strand und hinter dem Haus beginnt direkt der Great Orme. Ich hätte stundenlang dem  Wechsel des Wolkenspiels und dem segelnden Schweben der Möwen zuschauen können. Wilde königliche Ziegen bevölkern den Great Orme und wandern mitunter durch die Straßen und Gärten der Stadt, wobei sie die Blumen besonders attraktiv finden.

 

Nähert man sich dem Wohnort der IBVM schaut man auf einen riesigen Komplex. Das große ehemalige Schulgebäude der IBVM mußte verkauft werden und wechselte in diesen Wochen gerade seinen Besitzer. In der Mitte liegt das moderne Konventsgebäude der Schwestern und rechter Hand das Exerzitienhaus der IBVM.

 

Es heißt, wir lernen am Unterschied. So manches ist bei den Loreto-Schwestern anders als bei uns in Deutschland. Ich fand das mega spannend. Mit dem Wort Schwester fängt es schon an. Das Wort Schwester vermeiden manche lieber. Viele tragen auch kein Abzeichen mehr. Die Ordenstracht wurde durch Provinzbeschluss abgeschafft. Es heißt, sie würde zu viel Distanz zu den Menschen herstellen; sie aber wollen Mensch unter Menschen sein ohne Privilegien und ohne Distanz.

 

In der Provinz der IBVM und im Haus war ich von der großen Warmherzigkeit und Gastfreundschaft überrascht, in der ich mich sofort Zuhause gefühlt habe. Dieselbe interessierte Offenheit und Freundlichkeit begegnete mir überall. Ob in der Stadt oder unterwegs, man wurde angesprochen und war schnell im Gespräch. 

 

Derzeit bewohnen elf Schwestern das Konventsgebäude. Von ihnen sind drei berufstätig, während sechs Schwestern größeren Unterstützungsbedarf haben und deshalb im 1. Stock wohnen. Der 1. Stock ist für Schwestern mit Unterstützungsbedarf (Pflege, Demenz) ausgestattet, das Pflegepersonal entsprechend geschult. Fünf weitere Schwestern sind in den letzten sechs Monaten gestorben. Das hat spürbar eine große Lücke gerissen.

Die anderen Schwestern leben im 2. Stock in einem Apartment, zu dem je ein Schlafzimmer, ein Balkon und ein großzügiges Wohnzimmer mit Fernseher und kleiner Küchennische gehört.

Das Erdgeschoss ist großzügig gebaut: Eine schöne, bunte Kapelle und Räume für Gäste, Begegnungen, Sitzungen oder informelle Treffen. Man trifft sich hier zur Teepause, zur Messe und zum Mittagessen. Beim Mittagessen sitzen die Schwestern mit Unterstützungsbedarf an einem Tisch mit den Pflegerinnen. Wer immer beim Essen alleine zurecht kommt - egal in welchem Stock man wohnt - sitzt an anderen Tischen und integriert die Gäste, die kommen und gehen. Alle bedienen sich am Buffet, das die Köchin gerichtet hat.

Mich hat berührt wie trotz separater Tische und persönlicher Apartments viele achtsame Gesten des Miteinanders hin und hergehen. Die Teepausen sind mit Spiel und Quiz gestaltet und vom Personal vorbereitet. Wer immer kann und mag, kommt dazu.

Eine Oberin gibt es nicht mehr. Diese Entwicklung in der Provinz ist ein andauerndes Experiment, das teils der Überlastung bzw. dem Mangel an Schwestern geschuldet war und teils der Erkenntnis, dass die Zeit und die Menschen sich geändert haben. Die Oberinnen-Rolle passte nicht mehr. Verantwortung wird anders aufgeteilt. Stattdessen hat man in Llandudno eine Managerin eingestellt, die sich um alle organisatorischen, praktischen, personal- und gebäudetechnischen Dinge der Lebensbewältigung kümmert (einschließlich Geschenke und Feste). Das erleben alle als große Entlastung. Die Energie kann beim Älterwerden und abnehmenden Kräften in das gesteckt werden, was wirklich zählt: Ein freundliches, unterstützendes, aufmerksames Miteinander, das offen ist für Gäste. Ich habe hier neben der Warmherzigkeit eine große Freiheit im Miteinander gespürt, die mir Lust auf Zukunft gemacht hat.

Zukunft heißt „Becoming One - IBVM und Congregatio Jesu sind auf dem Weg zu einem Vereinigungsprozess. Diese Zukunft war bereits gegenwärtig erlebbar. Während meines Aufenthaltes durfte ich am mehrtägigen Provinztreffen der beiden Zweige teilnehmen und wurde ganz selbstverständlich mit integriert. Eindrücke und Bilder von der abschließenden Jubiläumsfeier sind auf der englischen CJ Website zu finden.

 

Inzwischen hat mein zweiter Terziatsabschnitt begonnen. Seit Anfang des Jahres bin ich bis einschließlich Ostern Teil des Teams in St. Beunos, dem Exerzitienzentrum der Jesuiten, und begleite Exerzitien. Auch hier begegnet mir eine warmherzige Kommunikations- und Willkommenskultur. Vieles wird anders gehandhabt und organisiert als ich es kenne. Das ist spannend, aber davon wird ein anderes Mal zu erzählen sein.

 

Text und Bilder: Sr. Regina Köhler CJ