Engagiert für Flüchtlinge
Sr. Marica Basic über ihre Arbeit für die Caritas-Flüchtlingshilfe und mit Ehrenamtlichen
Sr. Marica Basic CJ arbeitet seit September 2013 für die Caritas im Kreis Mettmann (Nordrhein-Westfalen). Mit einer halben Stelle ist sie für die Betreuung der Flüchtlinge in Haan zuständig, einer Stadt in der Nähe von Düsseldorf. Dazu kommt eine viertel Stelle für die landkreisweite Flüchtlingsarbeit, wobei es hier vor allem um die Beratung der Ehrenamtlichen geht. Da die Zahl der Ehrenamtlichen erfreulicher Weise im letzten Jahr angestiegen ist, wurden weitere Caritas-Kolleginnen eingestellt, die sie beraten. So ist Sr. Marica mittlerweile vor allem für die Stadt Velbert zuständig.
In ihrer Arbeit kann Sr. Marica täglich ihre Muttersprache Kroatisch sprechen, die auch im Kosovo und von den Roma verstanden wird. Außerdem spricht sie fließend Spanisch, Italienisch und Englisch. Die Sozialarbeiterin ist 34 Jahre alt und war schon früher in München ehrenamtlich für Flüchtlinge tätig.
Kommen die ehrenamtlichen Helfer aus Kirchengemeinden oder aus ganz anderen Bereichen?
Sr. Marica Basic CJ: Die meisten kommen tatsächlich aus Kirchengemeinden und der Pfarrcaritas. Wenn sich aber jemand meldet und konkrete Tipps braucht, dann frage ich den natürlich nicht nach seinem Taufschein. Der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki, hat vor einem Jahr dazu aufgerufen, dass sich nach Möglichkeit alle Gemeinden für Flüchtlinge engagieren sollen. Dafür hat er auch Geld zur Verfügung gestellt und Stellen finanziert. Daraufhin ist die Zahl der Ehrenamtlichen tatsächlich stark gestiegen.
Wie viele Leute beraten Sie?
Sr. Marica Basic CJ: In Haan wohnen ungefähr 250 Flüchtlinge, die ich mit einer Kollegin zusammen betreue. Wir halten Sprechstunden im Büro ab, machen aber auch Besuche in der Unterkunft und wir beraten und begleiten die Ehrenamtlichen. In Haan gibt es verschiedene Angebote, in denen die freiwilligen Helfer mitarbeiten: natürlich Sprachkurse, einen Kreativkurs, die Vermittlung von Praktika und Jobs, Spielangebote für Kinder, demnächst ein Kochkurs… In Haan arbeiten wir sehr gut mit verschiedenen Partnern zusammen, zum Beispiel mit der katholischen Kirche vor Ort, mit dem Sozialamt, auch mit Schulen und Kindergärten, mit Ärzten und dem Gesundheitsamt, mit Anwälten und so weiter.
In welchem Zustand kommen die Flüchtlinge bei Ihnen an? Sie haben unterwegs vermutlich schlimme Dinge erlebt und brauchen hier erst einmal auch ärztliche Betreuung und psychologische Begleitung?
Sr. Marica Basic CJ: Das ist sehr unterschiedlich. Zu uns nach Nordrhein-Westfalen kommen die Menschen nicht direkt vom Schiff, sondern per Zug aus Italien, Griechenland oder Spanien. In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden ihnen erst einmal die Fingerabdrücke abgenommen, sie werden registriert und medizinisch untersucht. Die Erstaufnahmeeinrichtungen sind in Städten wie Neuss oder Dortmund. Nordrhein-Westfalen bekommt rund 21 Prozent aller Flüchtlinge bundesweit, die im ganzen Land auf die Kreise und Kommunen verteilt werden, was nach bestimmten Verteilschlüsseln funktioniert – je nachdem, wie groß die Orte sind und wie ihre finanzielle Situation ist. Bevor sie nach Haan kommen, sind sie also schon einige Zeit in Deutschland.
Die Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung ist ihnen allen aber in der Regel in schlechter Erinnerung. Wenn sie zu uns kommen, sind sie erst einmal damit beschäftigt, sich in der Stadt zu organisieren. Psychologische Betreuung ist nicht sofort ein Thema. Zunächst geht es um die Schule für die Kinder, den Deutschkurs, das Sich-Zurechtfinden. Wenn sie sich aber etwas beruhigt haben, dann können die Traumata, die sie erlebt haben, wieder hochkommen. Es ist aber schwierig, Therapeuten für sie zu finden, weil es einerseits sehr lange Wartezeiten bis zu einem Jahr gibt und es andererseits wegen der Sprachbarriere nicht einfach ist, über das, was geschehen ist, zu sprechen. Da bräuchte man Übersetzer, aber über das Dolmetschen geht auch viel verloren, weshalb etliche Therapeuten nicht so arbeiten wollen. Ein weiteres Problem ist, dass die Flüchtlinge keine Krankenversicherung haben, wenn sie kommen. Die Stadt als Kostenträger zahlt nur das Nötigste.
Die Sprache ist sehr wichtig
Viele Flüchtlinge scheinen sehr motiviert zu sein, die Sprache schnell zu lernen…
Sr. Marica Basic CJ: Die Sprache ist sehr wichtig. Kinder lernen die Sprache sofort. Wenn sie zwei, drei Wochen in der Schule sind, dann können sie sich schon verständigen. Dann haben wir Leute, die sehr intelligent sind und Ziele haben. Die wollen auch sehr schnell Deutsch lernen.
Und dann gibt es andere, die sich mit dem Lernen schwer tun. Eine Mutter war mit ihrer Tochter bei der Einschulung und hat sich geschämt, weil ihre Tochter schon viel besser sprechen konnte als sie. Sie waren bei der Direktorin im Büro und die Mutter musste ständig bei der Tochter nachfragen. Das ist nicht schön, weder für die Tochter noch für die Mutter. Das wollte die Mutter nie mehr erleben. Seither lernt auch die Mutter fleißig deutsch.
Das Hauptproblem ist, dass die meisten Flüchtlinge keinen Anspruch auf Sprachkurse haben. Hier bieten Ehrenamtliche Kurse an. Das ist aber nur ein-, zweimal pro Woche eine Stunde. Auch mit Hilfe von Spendern geht einiges. Ein Arzt aus Haan finanziert uns jetzt gerade vier Stunden Deutschunterricht jede Woche. Da passiert einiges.
Einige Flüchtlinge sind auch Analphabeten. Sie sind zwar auch wissbegierig, kommen aber in normalen Sprachkursen nicht mit. Leider gibt es zu wenig Alphabetisierungskurse.
Werden die Flüchtlinge hier von den Nachbarn und vom Umfeld gut aufgenommen?
Sr. Marica Basic CJ: Meine Erfahrung derzeit ist, dass die Leute unglaublich hilfsbereit sind. Natürlich gibt es immer wieder auch Menschen, die gegen Flüchtlinge sind, aber die allermeisten wollen helfen. Erstens melden sich sehr, sehr viele Ehrenamtliche und zweitens wollen auch die Institutionen helfen, zum Beispiel die Schulen. Sie fragen in den Klassen herum, wer noch Schulranzen und Federmäppchen, Hefte und Stifte hat. Am nächsten Tag ist alles da, was das Flüchtlingskind in der Schule braucht.
In Haan gibt es auch sieben, acht Familien, die eine Patenschaft für eine Flüchtlingsfamilie übernommen haben und Zeit mit ihr verbringen, etwas gemeinsam unternehmen. Man spürt, dass die Menschen sehr hilfsbereit sind. Seit gut einem Jahr, seit man hier zu Lande mehr über die Situation in Syrien erfahren hat, und seit das Thema in den Medien präsent ist, hat sich die Hilfsbereitschaft sehr gesteigert. Auch der Appell von Kardinal Woelki mag hier eine Rolle gespielt haben.
Früher waren die Menschen gleichgültiger gegenüber Flüchtlingen und ihrem Schicksal. Jetzt melden sich zum Beispiel Sportvereine und fragen, was sie zur Integration von Flüchtlingen tun können. Das war früher gar nicht einfach, Sportvereine für Flüchtlinge zu öffnen. Das hat sich total geändert.
Wer sind die Ehrenamtlichen, die sich hier engagieren?
Sr. Marica Basic CJ: Das sind junge und ältere Frauen, aber auch Männer. Manchmal engagiert sich auch ein Ehepaar, zum Beispiel wenn es eine Patenschaft übernimmt. Alle Schichten sind vertreten von der Ministerialrätin bis zur Hausfrau und zum Rentner. Auch Berufstätige sind dabei, die nach Arbeitsschluss noch etwas Gutes tun wollen. Manche machen nur bei Aktionen mit, wie etwa eine Pflanzaktion bei einer Unterkunft oder sie helfen einmal pro Woche in der Kleiderkammer. Es hängt immer davon ab, was einem selbst Spaß macht. Das ist der entscheidende Punkt, damit man sich überhaupt auf Dauer engagieren mag. In Haan sind über 35 Ehrenamtliche aktiv. Das ist nicht schlecht.
Machen Sie Schulungen für Ehrenamtliche? Und was wird dort vermittelt?
Sr. Marica Basic CJ: Die Caritas bietet Schulungen an. In Zusammenarbeit mit der katholischen Erwachsenenbildung bieten wir verschiedene Module an. Eines heißt „Ehrenamt – Nähe und Distanz“, ein anderes geht auf rechtliche Fragen ein. Dann gibt es ein Modul mit Hintergrundwissen über Länder, aus denen besonders viele Flüchtlinge kommen, ein weiteres befasst sich mit interkulturellen Kompetenzen. Diese Module werden zwei bis dreimal pro Jahr für alle Ehrenamtlichen im ganzen Landkreis angeboten.
Dann bieten meine Kollegin und ich speziell für Haan dreimal im Jahr einen Erfahrungsaustausch vor Ort an. Wir berichten, was es Neues gibt und lernen voneinander. Zuerst treffen wir uns in der großen Runde, dann gehen wir bei Bedarf in Kleingruppen. Wenn jemand zum Beispiel einen Deutschkurs leitet, dann interessiert er sich vermutlich für andere Themen als ein Ehepaar, das eine Familienpatenschaft übernommen hat. Die Teilnahme an den Modulen hängt auch von der verfügbaren Zeit ab. Da wir aber auch nicht mehr als 15 Personen in unsere Räume bekommen, geht sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage immer gut aus. Wir mussten bisher noch niemanden abweisen, der sich schulen lassen wollte.
Uns geht es auch ganz stark um die Vernetzung mit anderen Stellen, die mit den Flüchtlingen arbeiten wie dem Gesundheitsamt, dem Sozialamt und so weiter. Dass man sich kennt und miteinander redet, das ist ganz wichtig.
Probleme bei der Wohnungssuche
Wenn eine Flüchtlingsfamilie hier ankommt, wie lange dauert es, bis die Kinder in die Schule gehen können, alle einen Arzttermin bekommen und die Familie eine Wohnung findet?
Sr. Marica Basic CJ: In die Schule kommt man sofort; das ist kein Problem. Beim Arzttermin geht es Flüchtlingen wie bei Deutschen auch, die keine Krankenversicherungskarte haben. Dann muss man sich an das Sozialamt der Stadt wenden und einen Krankenschein beantragen, der aber nur das abdeckt, was notwendig ist. Beim Zahnarzt wird also ein kaputter Zahn repariert. Wenn das nicht mehr geht, wird er gezogen. Zahnersatz gibt es nicht.
Bis die Familie eine Wohnung bekommt, das kann dauern. Aufnahmeeinrichtungen sind keine gute Lösung auf Dauer, vor allem nicht für die Kinder. Sobald die Anerkennung als Asylbewerber da ist, wird es etwas einfacher. Familien haben es hier leichter, weil die Kostenübernahme für sie für einen Vermieter eher interessant ist als die für eine Einzelperson. Für alleinstehende Personen gibt es so gut wie gar keine Wohnungen, aber das trifft auch auf Deutsche zu.
Sind Sie auch außerhalb der Bürozeiten greifbar?
Sr. Marica Basic CJ: Nein, ich achte schon auch auf professionelle Distanz. Im Büro bin ja nicht nur ich greifbar, sondern auch andere Ansprechpartner, zum Beispiel Kollegen von der Migrations- oder der Schuldnerberatung, so dass immer jemand da ist.
Ist die Bearbeitungsdauer bei Asylanträgen zu lang?
Sr. Marica Basic CJ: Die Bearbeitungsdauer der Anträge ist die Katastrophe schlechthin, weil die Wartezeiten sehr, sehr lang sind. Aber es gibt nicht genug Mitarbeiter, damit die Anträge wirklich schnell bearbeitet werden könnten. Aber die Einarbeitung dauert ja auch eine gewisse Zeit. Deshalb ist die Frage schon berechtigt, wie die Verfahrenszeiten beschleunigt werden können. Es dauert einfach zu lange und das macht die Menschen krank. Auch das Wissen um ein Nein wäre manchmal gesünder als diese lange Ungewissheit. Der psychische Druck ist sehr groß. Auch Menschen aus Ländern mit hohen Anerkennungsquoten müssen erst einmal zwei, drei Jahre in Containern leben, bevor sie einen Bescheid erhalten. Dort ist es laut, sie dürfen nicht arbeiten, sie haben keinen Anspruch auf einen Deutschkurs…
Wenn Mary Ward heute leben würde – denken Sie, dass Flüchtlinge für sie ein wichtiger Teil ihrer Arbeit wären?
Sr. Marica Basic CJ: Ich denke schon, denn sie und ihre Gefährtinnen haben sich damals um die Armen ihrer Zeit gekümmert. Heute sind das auch die Flüchtlinge. Für mich sind sie die Randgruppe schlechthin. Sie haben so wenige Rechte und fast keiner interessiert sich für sie. Das ändert sich erst seit etwa einem Jahr. Die Flüchtlinge, die in einem Flüchtlingsheim leben, leben unter sehr beengten Verhältnissen. Hier können sie sich nicht entfalten und nach vorne gehen.
Ist Ihr berufliches Engagement auch ein Thema für Sie als Schwester?
Sr. Marica Basic CJ: Ja natürlich. Ich arbeite für die Caritas, weil sie Teil der Kirche ist. Das ist eine sehr abwechslungsreiche und lebendige und schöne Arbeit. Mein Alltag ist nie langweilig, denn bei uns passiert alles, jeden Tag. Die 250 Flüchtlinge in Haan entstammen 32 Nationalitäten und fast alle Altersgruppen sind vertreten. Sie teilen ihre Hoffnungen und Träume und ich kann viel von ihnen lernen.
Wie kommen Sie mit den muslimischen Flüchtlingen klar?
Sr. Marica Basic CJ: Da gibt es keine Probleme. Das Essen kaufen sie sich selbst; es kann also nicht passieren, dass Schweinefleisch im Lebensmittelpaket ist.
Flüchtlinge entwickeln sich hier auch weiter. Das trifft vielfach auf die traditionellen Geschlechterrollen zu. Für muslimische Männer ist manchmal schwieriger, weil sie ihre absolute Chefrolle verlieren. Aber manche genießen auch, dass sie hier etwas tun dürften, was in Heimat nie ginge, zum Beispiel kochen. Afghanische Männer kochen gerne und sehr gut, wie ich hier schon in manchen Einladungen bei Familien selbst erlebt habe.
Die Fragen stelle Gabriele Riffert.