Tertiat in Zeiten der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie hatte direkte Auswirkungen auf das Tertiat von Sr. Anna Schenck CJ und Sr. Nathalie Korf CJ. Beide mussten ihren Auslandsaufenthalt verkürzen: Sr. Anna kam früher aus dem Libanon zurück, Sr. Nathalie auf Nepal.
Darüber hinaus musste der Intensivkurs in ignatianischer Spiritualität im spanischen Manresa aufgrund der Pandemie abgesagt werden. Nun leben beide bis zu ihrer Ewigprofess Anfang Juli in Bad Homburg.
Doch die beiden Schwestern wollten die Pandemie nicht als Störung ihres Tertiats sehen, sondern fragten sich, wozu Gott sie in dieser besonderen Situation ruft.
Sr. Anna engagiert sich nun in der Bahnhofsmission in Frankfurt am Main, wo vor allem zahlreiche Obdachlose in diesen Tagen um Hilfe bitten. Denn viele andere Hilfseinrichtungen sind geschlossen und sie haben kein Zuhause, in dem sie bleiben können.
Sr. Nathalie hat schon früher für viele Jahre mit Menschen mit Behinderung gearbeitet. Sie ist nun als freiwillige Helferin im Haus Königsegg in Oberursel eingesetzt. Dort leben 24 Erwachsene mit verschiedenen Behinderungen, von denen die meisten zu den Risikogruppen gehören, die bei einer Infektion mit dem Corona-Virus besonders schwer betroffen wären.
Sr. Anna und Sr. Nathalie haben uns einige Interviewfragen beantwortet, die einen Einblick in ihre aktuelle Sendung und ihren Altag geben.
Einsatz in der Bahnhofsmission
Wie sieht dein neuer Arbeitsalltag aus?
Ich bin entweder zum Frühdienst oder Spätdienst in der Bahnhofmission, dann überwiegend während der Öffnungszeiten des sogenannten Thekenbetriebs, das heißt die Zeiten vormittags oder nachmittags, zu denen unsere Gäste – überwiegend wohnungslose Menschen oder Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten – zu uns kommen können, um Kaffee, Tee, Wasser zu trinken, die Toilette zu nutzen, zu duschen, zu telefonieren oder auch nach einem Kleidungsstück zu fragen, das sie dringend benötigen; wochenends gibt es auch Luchpakete. In diese Tätigkeiten bin ich voll angespannt.
Natürlich kommen die Gäste auch mit vielen weiteren Anliegen: ob hier oder da ein Übernachtungsplatz frei ist, ob wir ihnen beim Ausfüllen dieses Formulars oder Übersetzen dieses Bescheids helfen können, eine Fahrkarte bezahlen... Die Unterstützungsmöglichkeit für Menschen mit Einschränkungen beim Umsteigen wird hingegen aktuell relativ wenig abgerufen. Dafür kommt das regelmäßige Desinfizieren der Aufenthaltsbereiche und die Ausgabe von Masken hinzu.
Wie gehen die Menschen, mit denen du bei deiner Aufgabe zusammenkommst, mit der Pandemie und ihren Auswirkungen um?
Für viele der Menschen, die in die Bahnhofsmission kommt, stellt die Pandemie eine ganz besondere Herausforderung dar. Nicht nur, dass sie die Aufforderung „Bleiben Sie zu Hause“ gar nicht umsetzen können. Vielmehr sind sie davon betroffen, dass viele Einrichtungen und Ämter aufgrund der Pandemie geschlossen haben – sie also weniger Anlaufstellen haben als sonst.
Auch manche Möglichkeit, kleine Einnahmen durch das Sammeln von Flaschen oder „Schnorren“ zu generieren, sind stark eingeschränkt. Ich erlebe kaum Menschen, die große Angst davor haben, selbst zu erkranken; zugleich haben die meisten auch Verständnis für die Maßnahmen, die die Bahnhofsmission treffen musste, um geöffnet bleiben zu können: Fiebermessen und Handdesinfektion beim Eintreten, weniger Sitzplätze, um die Abstandsregeln halten zu können, regelmäßige Desinfektion. Beim Halten des Abstands wird es dann im Alltag oft schon schwieriger…
Was kostet dich besonders viel Kraft, was stärkt deine Hoffnung?
Es kostet mich viel Kraft, die Tragik mancher Lebensgeschichten wahrzunehmen, den Teufelskreis der Armut – auch, dass Corona viele Menschen auf die Straße geworfen hat, die eigentlich zum Arbeiten nach Frankfurt gekommen sind, dieser Arbeit (am Flughafen, in der Gastronomie etc.) aber gerade nicht nachgehen können, und die Wohnung an der Arbeit hing, Hostels geschlossen sind.
Die unglaubliche Motivation der Kolleg*innen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten jeden noch so kleinen Schritt aus der Armut möglich zu machen, stärkt auch mich in meiner Hoffnung und der Bereitschaft, dieser oft scheinbar überwältigen Not das mir Mögliche entgegenzusetzen. Hinzu kommt die Dankbarkeit vieler Besucher.
Die Pandemie hat Vieles verändert, was uns schwer fällt, aber auch manche positiven Dinge zum Vorschein gebracht. Was würdest du gerne auch nach der Corona-Zeit behalten?
Mit berührt die große Solidarität vieler in dieser Zeit – Menschen, die sich fragen, was sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun können, um andere, denen es (noch) schlechter geht als ihnen, zu unterstützen. Diese Sensibilität für den Anderen und die Bereitschaft, mich für ihn einzusetzen, würde ich gerne behalten.
Zudem nehme ich eine größere Nachdenklichkeit darüber wahr, wie wir leben wollen, was uns wichtig ist, was Sinn und Halt gibt – Fragen, die wir uns auch für „die Zeit danach“ bewahren sollten.
Einsatz für Menschen aus der Risikogruppe
Wie sieht dein neuer Arbeitsalltag aus?
Ich arbeite in einer Wohngruppe, wo zurzeit zehn Männer und Frauen mit einer geistigen und teilweise auch einer körperlichen Behinderung leben. Es ist spannend, nach vielen Jahren noch einmal in meinem alten Beruf (Heilerziehungspflegerin) zu arbeiten. Meistens arbeite ich im Frühdienst und unterstütze die Menschen dort, wo sie Hilfe benötigen.
Jede/r macht das, was er oder sie kann, selber, auch wenn das eine Weile dauert. Manche brauchen nach dem Wecken nur eine freundliche, aber bestimmte Erinnerung ans Duschen oder Zähneputzen, andere brauchen viel Unterstützung beim Ankleiden und im Bad. Zwischen dem gemeinsamen Frühstück und Mittagessen ist Zeit für Haushaltstätigkeiten – zu denen in Corona-Zeiten auch das häufige Desinfizieren sämtlicher Oberflächen gehört – oder auch für gemeinsame Beschäftigungen wie ein Spaziergang (zum Glück liegt das Haus am Waldrand) oder ein Spiel. Manchmal bin ich tagsüber als Zusatzperson eingeteilt – dann bleibt auch mal Zeit für ausgiebiges Puzzeln mit einem Bewohner.
Wie gehen die Menschen, mit denen du bei deiner Aufgabe zusammenkommst, mit der Pandemie und ihren Auswirkungen um?
Aufgrund der Pandemie sind die Werkstätten und Tageseinrichtungen für Menschen mit Behinderung geschlossen, wodurch die gewohnte Tagesstruktur mit vielen geliebten Tätigkeiten und Begegnungen wegfällt. Es wurde im Wohnheim vorübergehend eine Quarantäne-Gruppe aus Bewohner/innen gegründet, die zur Corona-Hochrisikogruppe gehören. Es fehlen daher auch Mitbewohner/innen in der Gruppe.
Am meisten vermisst werden jedoch die Angehörigen. Wochenlang waren gar keine Besuche erlaubt, jetzt werden sie langsam wieder unter großen Einschränkungen möglich. Ich finde, die Bewohner/innen reagieren erstaunlich gelassen auf die vielen Einschränkungen – und das, obwohl sie sie nicht so einordnen und verstehen können wie die meisten von uns.
Ich habe Respekt vor den Mitarbeiter/innen, die gerade meist in sehr langen Diensten arbeiten. Mitarbeiter/innen aus den Tageseinrichtungen unterstützen zurzeit die Kolleg/innen im Wohnbereich, kennen aber – wie ich – oft die Bewohner/innen dort nicht (gut). Das erfordert viel Flexibilität und Improvisation.
Was kostet dich besonders viel Kraft, was stärkt deine Hoffnung?
Eine Bewohnerin der Wohngruppe vermisst ihre Eltern sehr stark. Bei jedem Telefonklingeln, bei jeder Bewegung der Haustür und auch oft zwischendurch fragt sie hoffnungsvoll „Mama?“. Ich wünschte, ich könnte ihr sagen, dass die Mama bald kommt und sie ganz feste in den Arm nimmt. Stattdessen muss ich sie ständig vertrösten, das ist hart.
Es macht mir Hoffnung, dass es möglich ist, auch in einer stark veränderten Realität wieder zu einem neuen Alltag zu finden. Im Wohnheim wird nicht permanent über Corona gesprochen, sondern das Beste aus jedem Tag gemacht.
Die Pandemie hat Vieles verändert, was uns schwer fällt, aber auch manche positiven Dinge zum Vorschein gebracht. Was würdest du gerne auch nach der Corona-Zeit behalten?
Durch die Pandemie ist das Bewusstsein für unsere Mitmenschen gewachsen. Es gibt unzählige Unterstützungsgruppen für Menschen, die Hilfe brauchen. Ich wünsche mir, dass wir auch nach der Pandemie weiterhin achtsam aufeinander sind; dass wir wissen, wer unsere Nachbarn sind und wo sie vielleicht unsere Unterstützung brauchen.
Ich freue mich auch sehr darüber, dass die Natur gerade eine kleine „Auszeit“ von der Ausbeutung durch die Menschen bekommt und sich etwas erholen kann. Wir lernen gerade, dass es möglich ist, unser Verhalten zu ändern. Es wäre schön, wenn wir manche Änderungen, wie z.B. das eingeschränkte Reisen oder den reduzierten Konsum, der Schöpfung – und damit auch uns allen – zuliebe, beibehalten.