Dienst im Hospiz
Da sein, zuhören, Zeichen verstehen
Schwester Michaele Höppner CJ schreibt über ihren Dienst im Hospiz
Bensheim. „Ist das nicht sehr belastend?“, so werde ich öfter gefragt, wenn ich von meinem regelmäßigen Besuch im Hospiz erzähle. Ist ein Hospiz nicht ein Ort der Hoffnungslosigkeit, des Leidens, des Todes?
Das „Hospiz an der Bergstraße“ in Bensheim ist das nicht. Diese Erfahrung mache ich Tag für Tag, seit ich den Besuchsdienst unserer Schwester Seraphica weiterführen durfte, als sie nach fünf Jahren aus Altersgründen nicht mehr hinüber konnte.
„Hinüber“, das ist der Weg in das Hospiz in der unmittelbaren Nähe unseres Hauses in Bensheim. Nun, ich kann noch hinüber und ich tue es gern. Mein Anfang im Sommer 2015 war nicht schwer: Die Beziehungen waren geknüpft, das Vertrauen aufgebaut, und ich konnte in die noch frischen Fußspuren meiner Mitschwester treten. Die neue Schwester wurde herzlich begrüßt.
Das Hospiz ist kein „Haus des Todes“. Die Menschen kommen nicht um zu sterben (obwohl sie es wissen), sondern um zu leben, bis zuletzt, - in Würde, wie es Herr Braun, der Geschäftsführer, immer wieder betont. „Gäste“ werden die Bewohner genannt, die für kurze – manchmal sehr kurze – oder auch etwas längere Zeit hier aufgenommen werden, wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Wie Gäste werden sie in Empfang genommen und im Eingangsbereich mit Blumen begrüßt, wie Gäste werden sie genauso verabschiedet. Sie sind Gäste, die unterwegs hier Rast finden, auf einer Reise in die endgültige Heimat.
Endgültige Heimat? Aufnahme in ewiger Liebe? – „Meinen Sie wirklich?“, fragt der eine mit fragend ängstlichem Blick; die andere spricht von ihrer Angstlosigkeit, weil sie nicht daran zweifelt. Wie reagiere ich? Was kann ich tun? Um „tun“ geht es nicht erstrangig, es geht um „da-sein“, ums zuhören, warten, Zeichen verstehen und Zeichen geben, bleiben, wenn die Bitte geäußert wird, gehen und allein lassen, wenn der Zeitpunkt dafür spürbar wird.
Ist das nicht belastend? – Ja und nein. Es belastet nicht im Sinn von bedrückend; es ist Belastung, wenn das heißt, ein Stück Last übernehmen. Aber gehört das nicht zum Leben überhaupt? Ein wenig die Schulter hinhalten, damit der andere mit seiner Last nicht allein bleibt? Mehr noch als für den sterbenden Menschen selbst gilt das für die, die zurückbleiben, die hilflos – oft sehr hilflos – dabei stehen, wenn der geliebte Mensch für immer geht. Ihre Last bleibt, noch lange, aber doch mit der Erinnerung an versuchte Tröstung.
Friede, der sich überträgt
Ich bekomme viel zurück in diesem Dienst. Von den Sterbenden ein dankbares Lächeln, den spürbaren Gegendruck der Hand, den Ausdruck des Friedens am Ende, der befreiend wirkt.
Jedes Sterben ist anders: ein sanftes Hinübergleiten oder ein Kampf um den letzten Atemzug;
Immer aber danach eine große Stille, ein Friede, der sich überträgt.
„Niemand kann einem andern die Tränen trocknen, ohne sich selbst die Hände nass zu machen“, sagt ein afrikanisches Wort. Manchmal wird das sehr real. Meine Bewunderung gilt dem Pflegepersonal, das in der ständigen Konfrontation mit dem Sterben herausgefordert wird, und ein überzeugendes Beispiel echter Menschlichkeit lebt, in selbstverständlicher Zuwendung an alle – ohne Unterschied.
Für mich persönlich ist darüber hinaus besonders beglückend, wenn manchmal ganz unaufdringlich, aber ehrlich, auf der anderen Seite etwas zum Leben kommt, was vielleicht lange verschüttet war. Wenn ich den Wunsch nach der Kommunion erfüllen kann oder mit der Familie in Gegenwart des Verstorbenen die Segensgebete sprechen darf.
Nein, belastend ist das nicht.
Text: Sr. Michaele Höppner CJ, Foto: Sr. Christa Braun CJ.