Bleibende Werte: 300-jähriges Bestehen in Altötting
Am 3. Mai 1721 kamen fünf Schwestern, damals "Englische Fräulein" genannt, aus München in Altötting an und gründeten die erste Gemeinschaft eines Frauenordens in dem oberbayerischen Wallfahrtsort. Ein Anlass, der nicht bei allen für ungeteilte Freude sorgte. Vor allem kirchliche Verantwortliche betrachteten die Schwestern und ihre Lebensweise argwöhnisch, fürchteten sie doch, dass die Neuankömmlinge Einbußen für die Wallfahrt bedeuten könnten.
In Bayern gab es Anfang des 18. Jahrhunderts bereits in München, Augsburg und Burghausen ein "Institut der Englischen Fräulein". Der Plan, in Altötting die vierte Niederlassung zu gründen, fand lebhafte Zustimmung und Unterstützung von Kurfürst Max Emanuel (1662 - 1726) und bekam bald auch die Genehmigung von Erzbischof Sigismund Harrach aus Salzburg, unter dessen Hoheit Altötting damals stand. Oberstvorsteherin Magdalene von Schnegg buchte daher eine Pferdekutsche und entsandte fünf "Engeländische Freylen", die das neue Institut aufbauen und eine Schule gründen sollten.
Anfangsschwierigkeiten und schnelle Erfolge
Die ersten Jahre der neuen Gemeinschaft waren von Sorgen und Entbehrungen begleitet. Es gab bereits drei geistliche Gemeinschaften in Altötting: Franziskaner, Jesuiten und das Stiftskapitel – für viele Altöttinger war das genug. Doch das Angebot, das die Schwestern machten, insbesondere die Schule, fand schnell Anklang.
In der Chronik des Altöttinger Hauses wird berichtet: "Am 4. Juni haben wir die Schul zu halten angefangen mit 12 Kinder den ersten Tag, darunter meist Arme." Schon im Oktober 1721 konnte die Altöttinger Oberin Elisabeth von Giggenbach dem Kurfürsten berichten, "dass wir eine ziemliche Meng Schulkind zu unterrichten haben." Schon im Folgejahr 1722 konnten die Schwestern die ehemalige Behausung des Pettenkramers Franz Primier in der Neuöttinger Straße 6 käuflich erwerben und die Schule weiter ausbauen.
Mit den ersten Erfolgen wuchs das Vetrauen der Eltern und damit auch das Interesse am Schulbesuch. Aus der Armenschule wurde eine Mädchenvolksschule. Der Schulbesuch war sehr rege und Visitationsberichte hoben Beispiele von außerordentlichem Eifer hervor.
Von 1723 bis 1734 wurden weitere Häuser gekauft, so dass auch ein Pensionat eröffnet werden konnte. Der Ruf des Institutes verbreitete sich rasch, bald kamen auch Zöglinge aus dem Ausland. 1773 zählte die Schule bereits 130 Schülerinnen. 1737 schließlich wurde der Bau der Institutskirche, die dem heiligen Josef geweiht war, vollendet.
Eine Stiftung sichert die Zukunft
65 Jahre nach den ersten Anfängen, im Jahr 1786, zeigte sich, welche Bedeutung die Schule erlangt hatte: Freiherr Georg von Schießl, Kanonikus von Ilmmünster, hatte seine Schwester Franziska Schießl zu seiner Erbin bestellt mit der Auflage, dass nach seinem Tod die ganze Hinterlassenschaft "zu Unterricht und christlicher Auferziehung armer bedürftiger Mägdlein in Altötting" zu einer ewigen Stiftung verwendet werde, welche die Englischen Fräulein besorgen sollten. Das "Schießl’sche Stift", die "Schießl'sche Armenmädchenstiftung" wurde gegründet.
Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1803 begann eine Zeit der Veränderungen. Mit der Schulpflicht kamen auch öffentliche Prüfungen auf, bei denen die Schülerinnen der Schwestern sehr gut abschnitten.
Die fortschreitende Säkularisation führte schließlich im Jahr 1809 zur Auflösung von Institutshaus und Pensionat. Die Schwestern konnten wählen zwischen Austritt aus dem Kloster oder Übersiedlung nach Burghausen. Keine verließ das Institut. Zwei Schwestern konnten im Schießl’schen Stift weiter unterrichten. Zwei weitere Schwestern durften für die "Besorgung des Hauswesens" bleiben und sorgten so dafür, dass die Gebäude erhalten blieben.
1823 konnte das Pensionat wieder eröffnen und ein neuerlicher Aufschwung begann. Dabei zeigte sich, dass die Schwestern immer auf der Höhe der Zeit agierten. 1853 beispielsweise eröffneten sie eine Einrichtung für kleiner Kinder, damals "Kinderbewahranstalt" genannt, ein Vorläufer des heutigen Kindergartens.
Heilmittel aus dem Klostergarten
Die Klostergemeinschaft wuchs enorm: 1853 kamen 23 Novizinnen, im Jahr 1879 zählte das Kloster 160 Schwestern. An der Klosterpforte gab es damals eine rege Nachfrage nach Melissengeist und Calmus-Likör, aber auch Gewürzlebkuchen und die beliebte Quittensulze in Schächtelchen wurden von den Altöttinger Bürgern gerne gegessen. Von 1861 bis 1991 vorsorgten die Schwestern mit einer Hostienbäckerei bis zu siebzig Pfarreien und Klöster. Auch Reliquien von Heiligen wurden von den Schwestern kunstvoll gefasst.
Besonders geprägt wurde das Leben der Gemeinschaft von der Lehrtätigkeit in der Schule. 1887 wurde neben dem Schulbetrieb auch der Betrieb einer Lehrerinnenbildungsanstalt genehmigt. 1906 wurde im Institutsgarten eine den neuesten Vorgaben und Erkenntnissen entsprechende Turnhalle errichtet, 1912 erfolgte die ministerielle Genehmigung für eine sechsklassige höhere Mädchenschule, das "Lyceum", dazu kam eine zweiklassige "Frauenschule". 1933 gründeten die Schwestern eine dreiklassige "Haustöchterschule", die als Vorläuferin der heutigen Realschule gilt.
Verbot im Zweiten Weltkrieg
Am 25. März 1941 wurden Mittelschule und Höhere Haustöchterschule durch die Nationalsozialisten geschlossen. Schon 1932 war das Gebäude des Kindergartens beschlagnahmt worden, das später als Lazarettapotheke genutzt wurde. Im November 1940 wurden 64 Umsiedler aus der Bukowina im Institut untergebracht, dazu kamen im April 1941 im Rahmen der sogenannten "Kinderlandverschickung" 360 Jungen aus Westfalen. Im Juni 1942 wurde das ganze Haus zu einem Lazarett mit etwa 900 verwundeten Soldaten, Ärzten und Angestellten.
Die arbeitslosen Lehrerinnen wurden zu Pflegerinnen, Verwaltungskräften oder übernahmen häusliche Arbeiten. In dieser Zeit entschieden sich zahlreiche Schwestern zudem für die Missionsarbeit - aus Altötting brachen Maria-Ward-Schwestern nach Chile, Brasilien und Argentinien auf.
Wiederaufbau nach dem Krieg und neue Schritte
Direkt nach Kriegsende, am 15. Mai 1945, wurde den Schwestern von der Militärregierung die Genehmigung gegeben, den Kindergarten wieder zu eröffnen. Im Oktober 1945 konnte der Schulbetrieb in der dreiklassigen Mittelschule wieder aufgenommen werden. 1947 wurde das sechsklassige Lyceum genehmigt, die spätere Oberrealschule, die 1965 zum Gymnasium mit Oberstufe ausgebaut wurde.
1990 überließen die Schwestern der Stadt Altötting 40.000 Quadratmeter bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstücke als Baugrund im Erbbaurecht, um ein Zeichen in der damals akuten Wohnungsnot in der Stadt zu setzen. Dort entstanden Wohnungen, in denen vor allem einkommensschwache Familien kostengünstig ein Zuhause finden konnten. Die Sorge für mittellose Menschen gehört bis heute zu den wichtigen Aufgaben.
Derzeit leben 20 Schwestern in der Gemeinschaft, die teilweise aus anderen Häusern des Ordens nach Altötting gekommen sind. Wenn heute auch keine von ihnen mehr im Schuldienst tätig ist: Ihr apostolisches Wirken hat nicht nur den Wallfahrtsort geprägt, sondern auch vielen Schülerinnen neben solidem Schulwissen prägende und bleibende menschliche und religiöse Lebenswerte mit auf den Weg gegeben.
Gemeinsam feiern trotz räumlicher Distanz
Aufgrund der Corona-Pandemie ist eine große Jubiläumsfeier nicht möglich, aber die Maria-Ward-Schwestern schauen dankbar auf die vergangenen 300 Jahre zurück. Wer sich im Gebet mit den Schwestern verbinden möchte, um den Jubiläumstag zumindest geistlich gemeinsam zu feiern, findet mit einem Klick auf diesen Link Materialien, die bei den Dankvespern am Sonntag, 2. Mai, und Montag, 3. Mai, zum Einsatz kommen.
Hintergrund:
Als die Maria-Ward-Schwestern in Altötting Fuß fassten, war bereits mehr als ein Jahrhundert vergangen, seit sich Mary Ward (1585-1645) und einige Gefährtinnen zusammengeschlossen und damit den Grundstein für ein „Institut der seligen Jungfrau Maria“ gelegt hatten. Mary Ward stammte aus Yorkshire in Nordengland – daher bekam ihre Gemeinschaft schnell den Rufnamen „Englische Fräulein“. Als junge Katholikin entdeckte sie nach langem Suchen, dass Gott sie dazu berufen hatte, eine neue Form von Ordensleben zu gründen. Ihre Kongegration sollte nicht hinter Klostermauern leben, sondern, von Frauen geleitet und nach dem Vorbild der Jesuiten, frei und offen für die Nöte der Zeit sein. Vor allem sah Mary Ward die Notwendigkeit, Mädchen und jungen Frauen eine Erziehung zu Eigenständigkeit und vor allem eine gute Schulbildung zu ermöglichen.
Die kirchlichen Autoritäten des 17. Jahrhunderts akzeptierten diese Form des Ordenslebens nicht. Die Kongregation überlebte jedoch trotz vieler Widerstände und besteht heute weltweit unter dem Namen Congregatio Jesu (CJ).