Besuch bei Schwestern in der Ukraine
Reiseeindrücke von Generalassistentin Sr. Elisabeth Kampe CJ
Rom. Man merkt es sofort, wenn man die Grenze passiert hat, dass man in einem anderen Land ist. Die Straßen sind in einem sehr schlechten Zustand. Für die Autofahrer empfiehlt es sich, in der Mitte der Straße zu fahren und nur dann auf die rechte Seite auszuweichen, wenn ein Auto entgegenkommt. Und dann die andere Schreibweise: Asbuka, benannt nach den ersten beiden Buchstaben des Alphabets. Nur ganz selten ist die Übersetzung ins Englische mit dabei. Gott sei Dank war ich nicht alleine unterwegs. Unsere Sekretärin im Generalat, Sr. Franziska, ist mitgefahren und übersetzt.
Bei den Schwestern in Uzhgorod
Fünf Mitschwestern leben im katholischen Gemeindezentrum des Ortes nahe der Grenze zur Slowakei. Sie engagieren sich in der Pfarreiarbeit, geben Religionsunterricht und führen das Heim für Studenten und Studentinnen, die aus schwierigen Familienverhältnissen kommen oder Waisen sind. Die ersten Kontakte zur Slowakischen Provinz, zu der die Niederlassungen in der Ukraine zählen, knüpften die Franziskaner. Seit 1994 leben die Schwestern dort.
Wir hatten die Chance am Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Es gab dort erstaunlich viele Familien mit kleinen Kindern – auch viele Jugendliche. Am Ende des Gottesdienstes wurden die Kinder gesegnet. Das war eine große und lebendige Schar, die sich da vor dem Altar versammelt hat. Der Gottesdienst war sehr schön gestaltet. Die wunderschönen Lieder klingen jetzt noch in meinen Ohren nach.
Beim Besuch des Sozialzentrums hatten wir die Gelegenheit mit einzelnen Studenten zu sprechen. Sie studieren alle in Uzhgorod. Erstaunlich viele sprachen Deutsch. Mit zwei der Mädchen, Christine und Erika, kamen wir auch auf die politische Situation zu sprechen. Für sie ist ganz klar, dass die Ukraine mit den derzeitigen Grenzen ihr Land ist. Es ist für sie undenkbar, dass der südöstliche Teil an Russland abgetreten wird. Sie wollen die Verbindung zum Westen, sie haben große Pläne, wollen an ausländischen Universitäten studieren, reisen können und sich die Welt anschauen wie es zum Beispiel für die meisten deutschen Studierenden selbstverständlich ist.
Sie erzählen auch, dass sie im Moment unheimlichen Stress haben. Sie müssen nämlich ein doppeltes Arbeitspensum bewältigen, denn die Universitäten sind im Januar und Februar geschlossen, um Heizkosten einzusparen...
Bei den Schwestern in Seredne
Es traf sich gut, dass wir an einem Montag die Mitschwestern in Seredne besuchten. Dieser Ort ist nur etwa 30 Kilometer von Uzhgorod entfernt. Jeden Montag treffen sich dort Priester und Ordensleute des Bistums Mukachewo, zu dem Seredne gehört. An zwei Montagen im Monat ist auch Bischof Antal Majnek dabei. Das kurze Gespräch mit ihm machte mir deutlich, dass er ein sehr guter Hirte seiner Diözese ist. Er erzählte auch, dass er im Februar 2015 zu einem Ad-limina-Besuch zu Papst Franziskus nach Rom fährt und dass bei diesem Treffen erstmalig auch die 13 Bischöfe der griechisch-katholischen Kirche mit dabei sein werden. Die römisch katholische Kirche hat 12 Bistümer in der Ukraine. Im Durchschnitt sind zwei Prozent der Ukrainer römisch-katholisch.
Über 50 Prozent der Ukrainer bekennen sich zur orthodoxen Kirche. Sie teilt sich in die orthodoxe Kirche des Moskauer und des Kiewer Patriarchats, wobei die Kirche des Moskauer Patriarchats sich als die eigentliche Kirche versteht. Für mich war völlig neu, dass immer dann, wenn eine andere Religionsgemeinschaft eine Kirche baut, die orthodoxe Kirche in unmittelbarer Nähe eine weitere ihrer Kircher baut. Laut Aussagen der Mitschwestern soll damit verdeutlicht werden, wer in der Ukraine "das Sagen hat".
n diesem Teil der Ukraine, die westlich von den Karpaten liegt, spielt die Religion eine große Rolle. Je weiter man Osten fährt, umso weniger Kirche gibt es. Die orthodoxen Kirchen sind alle in einem erstaunlich guten Zustand, und die goldenen Kuppeln sind weithin sichtbar und leuchten im Sonnenlicht.
Die drei Mitschwestern in Seredne übernehmen die religiöse Erziehung in Kindergärten und Schulen, und sie kümmern sich um die vier Kirchen des Pfarrverbandes Seredne. Auch mit diesen Schwestern kamen wir ins Gespräch über die derzeitige politische Situation des Landes. Eine der Schwestern brachte es auf den Punkt: „Anfangs dachte ich, der Krieg ist weit weg. Er betrifft uns nicht. Als aber dann die ersten jungen Männer von Seredne eingezogen wurden, war der Krieg vor der Haustür.“
Bei den Schwestern in Kiew
Wir fuhren mit dem Nachtzug von Mukachewo nach Kiew: 14 Stunden Fahrzeit, 800 Kilometer. 30 Soldaten fuhren mit uns im Zug. Die Mitschwestern vermuteten, dass sie zusammengerufen werden, damit sie eine Kurzausbildung zu bekommen, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Irgendwann in der Nacht stiegen sie aus. In der Dunkelheit konnte ich den Ortsnamen nicht erkennen.
Der erste Eindruck in Kiew waren die Menschenmassen, die sich Richtung U-Bahn, zur Rolltreppe Richtung Zug schoben. Offiziell leben vier Millionen Menschen in Kiew. Es ist eine riesige Stadt mit vielen 20-stöckigen Hochhäusern. Die Mitschwestern arbeiten bei der Caritas und kümmern sich um alte, kranke Menschen. Samstags laden sie Kinder und Jugendliche ein. Sie singen und spielen mit ihnen, machen kreative Angebote. Sie sind noch auf der Suche, welchen anderen Aufgaben sie sich widmen wollen.
Bevor wir noch nach Kiew kamen, habe ich gesagt, dass ich nicht nach Rom zurückfahren kann, bevor ich nicht auf dem Maidan-Platz war. Der nachhaltigste Eindruck für mich war die Ausstellung der Großwandfotos von den Kämpfen, die an diesem Ort stattgefunden haben. Furchtbare Bilder von Zerstörung, Leid und Tod. An einer Straßenseite waren Steine, mit denen die Menschen geworfen haben, zu kleinen Rundungen zusammengebaut. In jeder war das Foto eines der Opfer. Viele Menschen kamen, haben sich die Bilder angeschaut und haben hoffentlich gedacht: So was darf es hier nie wieder geben. Gott sei Dank gab es auch Bilder vom 7. Juli 2014: Sie zeigen Soldaten, die Zivilisten die Hand reichten, Soldaten mit einem lachenden Kind auf dem Arm. Ich werde diesen Besuch auf dem Maidan-Platz nie vergessen.
Wir besuchten auch die katholische St. Alexander Kirche. Sie ist nur wenige Gehminuten vom Maidan-Platz entfernt und diente in den Monaten der Auseinandersetzungen als ambulante Krankenstation. Unsere Mitschwestern engagierten sich für die Opfer, indem sie Medikamente brachten. Am Nachmittag besuchten wir dann noch das orthodoxe Michaelskloster und die Sophienkathedrale (Baubeginn im 11. Jahrhundert). Das sind große Klosteranlagen, die einen Eindruck davon geben, dass sie einmal prägenden Einfluss auf die Stadt hatten.
Nun bin ich zwar schon wieder einige Tage in Rom, aber meine Gedanken sind noch ganz oft in der Ukraine.
Text und Fotos: Sr. Elisabeth Kampe CJ