4. Impuls zur Fastenzeit: Vom rechten Maß
„Auf diese Weise sollen wir von unserer Seite
Gesundheit nicht mehr verlangen als Krankheit,
Reichtum nicht mehr als Schmach,
langes Leben nicht mehr als kurzes,
und folgerichtig so in allen übrigen Dingen.“
“Prinzip und Fundament”
5. Abschnitt
Dieser Absatz aus „Prinzip und Fundament“ schien mir lange Zeit der schwierigste zu sein, nur realisierbar für „Fortgeschrittene“ im geistlichen Leben, für „Heilige“.
Heute lese ich ihn anders. Als es in der Logotherapie-Ausbildung um krisenträchtige Haltungen ging, wozu vor allem große Erwartungen und Übertreibungen gehören, wurde mir bewusst, wie sehr Ignatius um die Probleme des Mensch-seins wusste und dass es bei seiner Formulierung nicht um eine fromme Höchstleistung (oder sogar Übertreibung) geht, sondern um eine Haltung, die uns hilft, seelisch gesund und stabil zu bleiben.
Wenn Jesus von der Sorglosigkeit der Vögel spricht, so übersieht er nicht, dass gerade die Vögel sehr besorgt sind um ihre Jungen, dass sie unermüdlich nach Nahrung für sie suchen und immer achtsam sind, dass dem Nest mit den Jungen keine Feinde zu nahe kommen. Die Fürsorge und die normale Sorge für Leib und Leben gehören auch für uns Menschen zu unserer Pflicht.
Was Jesus meint und was sicher auch Ignatius sagen will, ist die Warnung vor der „ängstlichen“ Sorge, das Fixiertsein auf etwas, das einem viel bedeutet, das man erringen oder nicht verlieren will. Wenn Sinnen und Trachten z.B. nur auf die Gesundheit oder auf Anerkennung, auf Erlangung eines bestimmten Titels/Postens, auf „Erzwingen“ von Liebe, auf Vermehrung des Besitzstandes … gerichtet sind, werden andere Werte vernachlässigt. Ein einziger Wert wird zum überragenden Wert und damit „vergötzt“, wie Frankl sagt. Bei Nichterfüllung der Erwartung oder bei Verlust kommt es dann oft zu Krisen, im schlimmsten Fall zu Zusammenbrüchen und neurotischen Depressionen.
Alle Geschenke des Lebens sind Geschenke auf Zeit. Elisabeth Lukas
Wir haben keinen Anspruch darauf, dass unser Leben ohne Schmerz und Leid verläuft, dass wir Gutes und Schönes und Liebgewordenes für immer behalten dürfen. In einer Todesanzeige las ich einmal den Satz: „Wir sind dankbar, dass du unser warst.“ Danken – auch für das, was war – hat heilende Kraft. („Die Heilkraft der Dankbarkeit“, Vortrag von Elisabeth Lukas)
Zu den krisenträchtigen Haltungen gehören auch die Übertreibungen, gehört das „Noch mehr“! Ignatius setzt dagegen: „Nicht mehr!“ Dem Orakel von Delphi wird der Satz zugeschrieben: „Nichts zu viel!“ Und ich höre die Worte meiner Großmutter: „Sorge, aber sorge nicht zu viel!“
Auch die Übertreibung des Guten kann krisenträchtig werden
Fürsorgliche Menschen verwöhnen die ihnen Anvertrauten oft mit ihrer Fürsorge und wecken damit eine Anspruchshaltung, die ihnen nicht gut tut, sie vielleicht lebensuntüchtig macht. Gewissenhafte können zu Skrupulanten werden, Fleißige zu „Arbeitstieren“, Ordentliche zu Perfektionisten, Genaue zu Pedanten, Sparsame zu Geizhälsen, Großzügige zu Verschwendern, Aktive zu Antreibern für andere, Harmoniebedürftige zu Feiglingen …
Bei den Regeln zur Unterscheidung der Geister (148) zeigt Ignatius, dass „der böse Feind“ Menschen, die feinfühlig sind und sich bemühen, vom Guten zum Besseren fortzuschreiten, dazu bringen will, sich „bis zum Äußersten zu verfeinern “ (Übertreibung des Guten). So will er sie „verwirren und zugrunde richten“.
Sowohl der übermäßigen Sorge als auch dem übermäßigen Bemühen fehlt das „sorglose“ Vertrauen, das Urvertrauen, das Vaclav Havel so ausdrückt: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass es Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“ Ignatius will uns zu einem tiefen Vertrauen auf die Liebe Gottes, zu einer fröhlichen Sorglosigkeit führen.
„Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.
Dem Herren musst du trauen, wenn dir’s soll wohlergehn; auf sein Werk musst du schauen, wenn dein Werk soll bestehn. Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein.“
Paul Gerhardt
„Ohne Vorbehalt und ohne Sorgen leg ich meinen Tag in deine Hand.
Sei mein Heute, sei mein Morgen, sei mein Gestern, das ich überwand.
Frag mich nicht nach meinen Sehnsuchtswegen: Bin aus deinem Mosaik ein Stein. Wirst mich an die rechte Stelle legen, deinen Händen bette ich mich ein.“
Edith Stein