3 Monate in Sibirien
Land der Gegensätze
Reiseeindrücke aus Sibirien von Sr. Helena Erler CJ
Velbert-Langenberg. Heimgekehrt ins winterregengraue Deutschland schaue ich zurück auf meine Zeit in Sibirien. Da ist zuallererst die Sehnsucht nach dem Schnee, der dort überall in Mengen liegt, den Kindern zum Schneemannbauen und an jeder Ecke, zu Bergen aufgetürmt, zum Rodeln dient; der die Möglichkeit für einen kleinen Zuverdienst gibt, wenn man vor den Geschäften die Gehwege frei schaufeln darf; und der einfach, wunderschön glitzernd, allen Schmutz und Matsch zudeckt. Da ist die Erinnerung an Temperaturen von -31 Grad Celsius bei strahlendem Sonnenschein, die jeden Tag die schönsten Eisblumen an die Balkonfenster zaubern, die die Hand an der Türklinke festkleben und den Schnee knirschen lassen, die aber leichter auszuhalten schienen, als die regengrauen 2 Grad hier.
Warmherzige Menschen
Vor meinen Augen tauchen die vielen warmherzigen Menschen auf, die ich kennenlernen durfte: alte russlanddeutsche Babuschkas mit unvorstellbar tragischen Familiengeschichten, die uns in ihre kleinen, ärmlichen, aber mit viel Liebe verzierten Holzhäuschen eingeladen und nach dem gemeinsamen Feiern der Messe oder einer kleinen Katechese aufs Leckerste bewirtet haben, dass sich die Tische nur so bogen; die sich gefreut haben, mal in ihrem wunderschönen wolgadeutschen Dialekt reden zu können und verstanden zu werden, die mit ihrer kleine Rente von ca. 100 Euro den Kindern und Enkeln noch unter die Arme greifen, deren Familienverhältnisse durch Alkohol und daraus folgender Arbeitslosigkeit und Gewalt oft sehr zerrüttet sind.
Da sind aber auch die Obdachlosen, die zweimal die Woche in der Pfarrei ein warmes Mittagessen und bei Bedarf Kleidung bekommen; die sich schon mal mit selbstgestrickten Socken bedanken oder ein deutsches „Guten Tag und Dankeschön“ versuchen, um mir eine Freude zu machen.
Ich erinnere mich an meine Sprachlosigkeit, den frustrierenden Lernversuch, dieser wortreichen Sprache Herr zu werden und damit den Menschen näher zu kommen; an die gefühlte Einsamkeit und Isolation, wenn man alles nicht versteht und dem befreienden Gefühl, nach Tagen endlich einmal wieder Deutsch reden und all das ausdrücken zu können, was auf der Seele brennt.
Farbenfroh, aber auch dunkel
Mir kommen die vielen Gegensätze wieder in den Sinn: die allgegenwärtigen, gewaltigen und dunklen Leninskulpturen aus Sowjetunion-Zeiten, neben den zierlichen, farbenfrohen und ikonengeschmückten orthodoxen Kirchen; den Dörfern, die ohne befestigte Straßen und fließend Wasser auskommen müssen, und den marmorbestückten Metrostationen in Moskau; die vielen kleinen Marktstände oder fliegenden Händler an den Bahnstationen, die gefrorenen Fisch lose verkaufen, und die megagroßen Einkaufsparks in den Großstädten, die keine Wünsche offen lassen, so man das Geld dazu hat; eine Natur, die oft zum Weinen schön, aber auch gnadenlos lebensfeindlich sein kann; in der Bahn die wunderschöne Frau im Pelzmantel neben dem vom Leben in Armut gezeichnetem Großvater…
Sibirien - das Land ohne Grenzen, das Land der Tränen, mit seinen vielen warmherzigen Menschen…es gäbe noch unendlich viel zu erzählen…hier ein Versuch in Bildern: