3. Impuls zur Fastenzeit: Unterscheidung und Entscheidung

„Hieraus folgt,
dass der Mensch dieselben (die Dinge) so weit zu gebrauchen hat,
als sie ihm auf sein Ziel hin helfen,
und sie so weit lassen muss, als sie ihn daran hindern.

⇒ Unterscheidung

Darum ist es notwendig,
uns allen geschaffenen Dingen gegenüber
gleichmütig (indifferent) zu verhalten in allem,
was der Freiheit unseres freien Willens
überlassen und nicht verboten ist.“

⇒ Entscheidung     
   

“Prinzip und Fundament”

3. und 4.  Abschnitt

Es fällt auf, dass Ignatius zur Erreichung des Zieles nicht auf Gesetze und Gebote hinweist, auf Askese und Moral, auf Leistung und Einsatz, sondern auf Unterscheidung und freie Entscheidung setzt. Im Exerzitienbuch führt er seine Gedanken und Erfahrungen zur „Unterscheidung der Geister“ an konkreten Beispielen aus.

Nach Frankl ist jeder Mensch einmalig und einzigartig. Dem entspricht auch, dass jede/r eine einmalige und einzigartige Aufgabe in dieser Welt zu erfüllen hat, die auf ihn wartet und die unerfüllt bleibt, wenn sie nicht angenommen wird. Frankl zitiert den Weisen Hillel (Jüd. Schriftgelehrter, ca.110 v.Chr. geb.): „Wenn ich es nicht tu, wer wird es tun? Und wenn ich es nicht jetzt tu, wann soll ich’s tun? Und wenn ich’s nur für mich selbst tu, was bin ich?“

„Jede Situation ist ein Ruf, auf den wir zu horchen, dem wir zu gehorchen haben.“ (Frankl)

„Jeder Tag, jede Stunde wartet also mit einem neuen Sinn auf, und auf jeden Menschen wartet ein anderer Sinn. So gibt es einen Sinn für jeden, und für einen jeden gibt es einen besonderen Sinn." (Frankl: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn)

Aber zu viele Stimmen in uns und um uns verwirren uns, Stimmen der Sehnsucht und der Angst, Stimmen der Autoritäten, Stimmen des Zeitgeistes, der Peergroups, der Populisten …Auf welche sollen wir hören? Was ist das „Meine“?

Den einmaligen und einzigartigen Sinn, der in jeder Situation verborgen ist, erfahren wir durch das Gewissen. Es ist „…die Aufgabe des Gewissens, dem Menschen ‚das Eine, was not tut‘, zu erschließen.“ … „Es geht dabei um jene einmalige und einzigartige Möglichkeit einer konkreten Person in einer konkreten Situation … ad personam – ad situationem…“ (Frankl: Der unbewusste Gott)

Auch für Ignatius ist es wichtig, bei Entscheidungen auf die Person, auf Ort und Zeit und Umstände zu achten. (Konstitutionen) Ignatius spricht in obigem Text von der „Freiheit unseres freien Willens“.

Auch in der Logotherapie spielt die Freiheit eine große Rolle. „Alle Freiheit hat ein Wovon und ein Wozu.“ (Frankl)

Frei werden „Wovon“ heißt: nicht bestimmt oder „getrieben“ werden von Ängsten und Sehnsüchten, von falschen Rücksichten, von verlockenden oder drohenden Stimmen um uns, sondern auf die Stimme unseres Herzens zu hören, auf den Ruf der Stunde – den Ruf Gottes – und „Antwort“ zu geben. „‘Wozu‘ der Mensch frei ist, ist das Verantwortlichsein.“ (Frankl)

Für Frankl hat das Leben „Aufgabencharakter“, „Antwortcharakter“. Nicht wir sind es, die Fragen zu stellen haben, sondern das Leben – Gott – stellt uns die Fragen, auf die wir Antwort geben müssen. Daraus wächst unsere Ver-Antwortung. Wir haben Verantwortung für uns selbst, aber auch für das, was jetzt – heute – durch uns in dieser Welt geschehen soll.

Jede Wahl bedeutet zugleich „Ab-Wahl“ eines anderen Wertes, jede „Ent-Scheidung“ kann uns von Menschen, Orten, Aufgaben, Dingen … trennen, die uns vielleicht lieb geworden sind. So verlangt manche Entscheidung auch Mut und Bereitschaft, auf anderes zu verzichten. Wenn wir keine Wahl treffen, aus Angst, wir könnten uns falsch entscheiden, wählen wir indirekt, dass über uns entschieden wird. Wir handeln nicht als freie und Verantwortung tragende Menschen. Frankl sagt: „Menschsein ist entscheidendes Sein.“  Und an anderer Stelle: „Religiosität hat Entscheidungscharakter.“ (Der Unbewusste Gott)

Wenn wir in einer Situation das „Bestmögliche“ wählen, das, was wir hier und jetzt als sinnvollste Möglichkeit erkennen, dürfen wir die Entscheidung vertrauensvoll in Gottes Hände legen: „Half sure and full hearted “, zwar nur halb sicher, aber bereit, mit ganzem Herzen den gewählten Weg zu gehen, die gestellte Aufgabe zu übernehmen.

Das „Bestmögliche“ ist nicht als Superlativ zu verstehen, im Sinne von Perfektion, sondern als Unterscheidung, in wichtigen und auch in alltäglichen Situationen. Was ist hier und jetzt das Bestmögliche? Das kann in einem Fall sein, dass ich mich entspannen muss, um neue Kraft zu schöpfen. In einer anderen Situation ist das Bestmögliche – trotz Müdigkeit -  beim kranken Kind zu sitzen, ihm Geschichten zu erzählen und ihm Geborgenheit zu geben.

Da wir Menschen begrenzt in unserer Einsicht und oft auch schwach sind, werden wir immer wieder Fehlentscheidungen treffen. Mich tröstet die Zuversicht, dass Gott auch „auf krummen Zeilen gerade schreiben“ kann.

Unsere Unvollkommenheit trennt uns nicht von ihm. Zeigt sich, dass der gewählte Weg nicht zielführend ist, können wir neue Entscheidungen treffen. Gott lässt uns erfahren, dass auch „Umwege“ Heilswege sind, Lernwege, die uns zu neuen Erkenntnissen und neuen Aufgaben führen. Ein beeindruckendes Beispiel finde ich bei Maria Ward. Ihr Lernweg führte über das Klarissenkloster in St. Omer, wo sie als Bettelschwester eingesetzt wurde. Sie musste die kluge Unterscheidung lernen, dass nicht der Rat und der Wunsch eines anderen Richtschnur für ihre Entscheidung sein darf, sondern dass sie auf die innere Stimme hören muss, in der Gott sie verstehen lehrt, was das „Ihrige“ ist.

“Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.” 1Kön 3,9

„Herr, was soll ich tun? Stell mich hin, wo du willst, stell mich hin, wo du mich brauchen kannst, denn du kennst mein Herz.“ Lied von Kathi Stimmer

 

 „Immer ist die wichtigste Stunde die gegenwärtige;

immer ist der wichtigste Mensch der, der dir gerade gegenübersteht;

immer ist die wichtigste Tat die Liebe.“

Meister Eckhart