2. Impuls zur Fastenzeit: Aufgabe und Verantwortung
„Die andern Dinge auf der Oberfläche der Erde
sind zum Menschen hin geschaffen,
und zwar damit sie ihm bei der Verfolgung des Zieles helfen,
zu dem hin er geschaffen ist.“
2. Abschnitt
Wenn „die andern Dinge zum Menschen hin geschaffen“ sind, ist vorausgesetzt, dass der Mensch „Kontaktstellen“ hat, die Beziehung ermöglichen. Frankl hat das sehr anschaulich ausgedrückt, wenn er aufzeigt, dass wir von Natur aus dafür geschaffen sind, „in die Welt hinein zu agieren“: unsere Sinnesorgane sind auf Weltwahrnehmung hin ausgerichtet, nicht auf „Nabelschau“, wie er die übertriebene Selbstreflexion nennt. Wir können mit unseren Augen nicht unser eigenes Gesicht sehen, wohl aber die Gesichter vieler Menschen. Unsere Ohren nehmen Stimmen und Geräusche um uns wahr. Die eigene Stimme ist nicht für Selbstgespräche gedacht. Unsere Füße ermöglichen uns, den eigenen Standort zu verlassen und auf andere zuzugehen. Bei einem Kreuz, bei dem der Gekreuzigte durch Kriegseinwirkung keine Arme mehr hat, steht der Satz: Jesus hat keine Arme, nur deine.
Gott hat uns nicht als Einzelne, als Monaden, erschaffen. Wir stehen in einem großen Sinnzusammenhang mit anderen Menschen, auch mit Tieren und Pflanzen, mit der Schönheit und dem Reichtum des gesamten Kosmos, aber auch mit Bedrohungen und Herausforderungen, mit Problemen und Leiden durch Menschen und die Natur. Wenn alles auf den Menschen hin geschaffen ist, heißt das, dass der Mensch die Aufgabe hat, damit verantwortlich umzugehen.
Mensch-Sein ist Bewusst-Sein und Verantwortlich-Sein
„Wirklich Mensch wird der Mensch erst dann, und ganz er selbst ist er nur dort, wo er in der Hingabe an eine Aufgabe aufgeht, im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu einer anderen Person sich selbst übersieht und vergisst.“ (Frankl, Theorie und Therapie der Neurosen, S. 10)
Frankl nennt diese Haltung „Selbsttranszendenz“ = Selbst-Überschreitung, Selbstvergessenheit. „Das Wesen menschlicher Existenz ist die Selbsttranszendenz.“ (Frankl)
In der “Einführung ins Christentum“ (Ratzinger) finden wir einen ähnlichen Gedanken: „Der Mensch ist umso mehr bei sich, je mehr er beim andern ist. Er kommt nur dadurch zu sich, dass er von sich wegkommt. Er kommt nur durch den anderen und durch das Sein beim anderen zu sich selbst.“ Und an anderer Stelle: „Christsein bedeutet wesentlich den Übergang vom Sein für sich selbst in das Sein füreinander.“
Zur Zeit Frankls war das Wort „Selbstverwirklichung“ ein Modewort. Er hält dagegen, dass man Selbstverwirklichung nicht intendieren, als Ziel anpeilen, herbeiwünschen, „machen“ kann. Selbstverwirklichung ist für ihn das „Nebenprodukt“, das „Zu-Geschenk“ von sinnvollem Handeln. „Nur in dem Maße, in dem der Mensch Sinn erfüllt und Werte verwirklicht – in dem Maße erfüllt und verwirklicht er auch sich selbst: Selbstverwirklichung stellt sich dann von selbst ein – als eine Wirkung der Wertverwirklichung und der Sinnerfüllung.“
Ich entdecke darin das Wort Jesu: „Suchet zuerst das Reich Gottes, alles andere wird euch dazugegeben werden.“ (vgl. Mt 6,33)
„Gott hat mich geschaffen,
um das zu sein und zu tun,
was nur mir und keinem andern bestimmt ist.
Ich habe einen Platz in den Absichten und in der Welt Gottes,
den kein anderer einnimmt.
Ich habe meine Sendung.
In irgendeiner Weise braucht er mich
zur Ausübung Seiner Pläne.
Ich bin an meinem Platz ebenso notwendig
wie ein Erzengel an dem seinen…
Ich habe also teil an dem großen Gotteswerk,
in bin ein Ring in der Kette,
ein Faden in dem Band,
das Menschen miteinander verbindet.
Gott hat mich nicht umsonst erschaffen.
Ich soll sein Werk erfüllen,
so gut ich kann.
John Henry Newman