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Mit Schwung auf die Matte: Sr. Gabriele hat den schwarzen Gürtel

Sie trägt kein Ordensgewand, doch mehrfach in der Woche zieht Sr. Gabriele Martin CJ eine ungewöhnliche Kleidung an. Nicht zum Gottesdienst – nein, zum Judotraining mit den Kindern und Jugendlichen „ihres“ Judovereins.

Sr. Gabriele (links) beim Training.

Doch Sr. Gabriele ist nicht irgendeine Judotrainerin. Sr. Gabriele trägt den schwarzen Gürtel. Im vergangenen Jahr hat sie die Prüfungen für den ersten Dan bestanden, mit 54 Jahren.

Seit vielen Jahren arbeitet sie als Erlebnispädagogin und begleitet dabei Kinder und Jugendliche. Für das erfolgreiche Absolvieren des Studiums brauchte sie zwei Trainerscheine und da sie den als Hochseilgartensicherheitstrainerin schon hatte, lag Judo als zweite Trainerausbildung nahe.

„Ich habe schon als Kind mit Judo begonnen“, erinnert sie sich. „Ich war damals eher schüchtern, wurde gehänselt, traute mich nicht, mich durchzusetzen. Einem Cousin ging es genauso. Da dachten unsere Eltern, Judo könnte uns helfen. Und so war es auch.“

Jahrelang trainierte sie mit anderen Kindern und Jugendlichen „Fallschule bis zum Abwinken“. Was andere schnell langweilig fanden, begeisterte Sr. Gabriele damals schon. „Hinfallen zu können, ohne dass es weh tut, das war eine super Sache. Und plötzlich war ich bei meinen Klassenkameraden nicht mehr das Opfer, sondern die Heldin.“ Und nicht nur das: Beim Sport erzielt sie auch Erfolge. „Ich konnte das richtig gut“, lächelt sie und erzählt von Wettkämpfen, Medaillen und Pokalen. Sogar bei Länderkämpfen war die junge Athletin am Start. Auch an die Gürtel in den verschiedenen Farben erinnert sie sich: „Damals kaufte man nicht einfach den Gürtel in der nächsten Farbe dazu. Meine Mutter hat sie mit Batiktechnik eingefärbt und dann für die nächste Gürtelstufe umgefärbt. Manchmal hat sie dabei ganz schön Stress gehabt, wenn ich am einen Tag die Prüfung bestanden hatte und zum Training am nächsten Tag natürlich den Gürtel in der neuen Farbe tragen wollte.“

Eine Schwester, die andere zu Boden wirft und selbst mit Schwung auf die Matte fliegt – als sie der Congregatio Jesu beitrat, war das absolut unüblich. Und so ließ sie den Sport ruhen, wurde Lehrerin und dachte nur noch selten an die Wettkampfkarriere. Bis sie, wie sie selbst sagt, 2007 „den Rotstift gegen die Erlebnispädagogik austauschte“ und zum Sport zurückfand. Schnell stellte sie fest, dass der Trainerschein nicht alles war, was sie beim Judo erreichen wollte. Schon früher hatte sie davon geträumt, den schwarzen Gürtel zu erlangen, doch fand sich keine passende Trainingspartnerin in der gleichen Gewichtsklasse oder mit den gleichen Zielen oder eine Versetzung warf alle Pläne über den Haufen.

Vor drei Jahren jedoch stieß Sr. Gabriele im Verein, bei dem sie sich ehrenamtlich als Jugendtrainerin engagiert, auf eine Trainingspartnerin, die ebenfalls für den schwarzen Gürtel trainieren wollte. Zusammen bereiteten sie sich auf das sehr umfangreiche Prüfungsprogramm vor. Vor allem die ritualisierten Übungen der „Kata“, bei der Würfe und Wurfgruppen, Reihenfolge und Ausführung genau vorgegeben sind, stellten eine Herausforderung dar. „Dabei geht es nicht nur darum, die Technik zu beherrschen, sondern darum, den eigenen Körper und den des anderen mit den Wurfbewegungen zusammenzubringen und daraus eine fließende Bewegung zu machen. Die beiden auf der Matte müssen sich perfekt aufeinander abstimmen, eine harmonische Einheit bilden und überflüssige Bewegungen vermeiden.“ Eine mehrfache Herausforderung: Körperlich und mental.

Genau das ist es, was Sr. Gabriele am Judo so fasziniert. „Es ist eine komplexe Sportart, ich muss nicht nur meinen Körper trainieren, sondern auch meine Aufmerksamkeit, meine Beobachtungsgabe, meine Intuition, ich muss mich an immer neue Situationen anpassen und immer neue Lösungswege suchen.“

Nach einem Jahr intensiven Trainings absolvierten die beiden Judoka im Dezember 2019 die Kata-Prüfung – und schnitten dabei so gut ab, dass sie sogar zur bayerischen Kata-Meisterschaft 2020 eingeladen wurden. Die Corona-Pandemie sorgte für deren Absage, ebenso wie für die Absage der beiden Prüfungstermine für den zweiten Teil der Gürtelprüfung. Doch so schnell ließ die Pädagogin sich nicht von ihrem Plan abbringen. „Die Familie meiner Trainingspartnerin hat eine große Maschinenhalle, da haben wir mit einem Gabelstapler die Trainingsmatten hineingehoben und gemäß der Corona-Auflagen, als wir nicht in die Sporthalle konnten, bei offenen Hallentoren trainiert. Das war ganz schön kalt, mit nackten Füßen auf den klammen Matten, aber wir haben einfach so lange geübt, bis uns warm war.“

Im Sommer 2021 war es endlich so weit und der zweite Teil der Prüfung konnte stattfinden. „Ich hatte nach meiner Impfung einen lahmen Flügel“, lacht Sr. Gabriele, „aber das war mir egal, ich wollte nicht nochmal verschieben.“ Und dann erfuhr ihre langjährige Trainingspartnerin wenige Tage vor der Prüfung, dass sie schwanger ist. „Werfen durfte sie noch, aber fallen nicht mehr.“ Doch dann bewährte sich ein weiterer Faktor, den Sr. Gabriele beim Judo schätzt: „Wir sind alle wie eine große Familie. Jeder hilft dem anderen. Und so sprang eine Freundin ein, damit ich mein Training bis zum Schluss absolvieren konnte“ – bestanden!

Doch der persönliche Erfolg ist nicht das wichtigste für die engagierte Pädagogin. „Beim Judo können Kinder und Jugendliche so viel lernen, das prägt die ganze Persönlichkeit.“ Dabei sei es egal, wie groß oder klein, alt oder jung jemand ist, ob Anfänger oder Fortgeschrittener. „Zum Judo gehört, dass sich alle gegenseitig unterstützen, dass wir Respekt voreinander haben und beim Kampf ehrlich miteinander sind. Judo braucht Wertschätzung und Teamgeist.“ Als Beispiel beschreibt die Trainerin eine typische Szene aus der Sporthalle: „Wenn ich mit jemandem üben will, verbeuge ich mich vor ihm. Da abzulehnen, das gibt es beim Judo einfach nicht. Wenn sich jemand vor mir verbeugt, verbeuge ich mich auch und wir trainieren miteinander. Ich wende mich von keinem Menschen ab – das prägt, auch außerhalb der Halle.“

Wenn der Gegner größer, schwerer oder weiter in der Ausbildung ist, ist es seine Pflicht, darauf zu achten, dass er den weniger geübten oder kleineren Partner „nicht völlig zerlegt“, wie Sr. Gabriele es nennt. Wer von einem überlegenen Gegner aufgefordert wird, kann seinen Mut üben und lernt, sich auch ungewohnten Herausforderungen zu stellen. „Mir ist es wichtig, den Kindern das mitzugeben: Wir trainieren miteinander zum wechselseitigen Fortschritt. Da hat Egoismus keinen Platz.“ Außerhalb der Sporthalle kommt ihr das mittlerweile oft zu kurz. „Ich erlebe viele Kinder und Jugendliche, die nur an sich denken können, die ihren eigenen Vorteil suchen, die wählerisch sind, mit wem sie Kontakt haben wollen. Da ist Judo eine wirklich gute Schule. Da gibt es kein: Die mag ich aber nicht. Wenn jemand mich auffordert, kämpfe ich mit ihm oder ihr, egal, ob wir befreundet sind. Ich sage den Kindern oft: Ihr müsst euch ja nicht heiraten. Aber vier Minuten auf der Matte miteinander trainieren, das kriegt ihr hin.“

Dass sie eine „echte Nonne“ ist, finden die Jugendlichen dabei im ersten Moment cool – und dann spielt es keine Rolle mehr. „Wir setzen uns füreinander ein, wir stehen zusammen, helfen einander auch außerhalb der Judomatte. Das sind ja auch zutiefst christliche Werte – die manche von den Jugendlichen in der Kirche, wie sie sie erleben, nicht mehr wahrnehmen können.“ Dann steht Sr. Gabriele auch als Gesprächspartnerin zur Verfügung. „Meistens müssen wir aber gar nicht viel reden – die wichtigen Dinge vermitteln sich wie so oft durchs Vormachen und Vorleben.“

Gerade in den letzten Monaten ist der sportlichen „Judo-Oma“, wie sie manchmal lachend von sich selbst sagt, das Training besonders wichtig geworden. „Die Pandemie hat Kinder und Jugendliche besonders hart getroffen. Daher helfe ich sehr gerne mit, dass sie durch das Training mal raus kommen, mit anderen Spaß haben können.“ Und manchmal denkt sie, dass dem ein oder anderen Entscheidungsträger auch eine Runde Judo gut tun könnte. „Da lernt man nämlich auch, sich zu entscheiden. Beim Wettkampf bekommt man eine Verwarnung, wenn man zu lange nur blockt. Und irgendwann lernt der Gegner, meine Blockade zu überwinden und dann habe ich das Nachsehen. Das gilt ja nicht nur auf der Matte.“

Ob es schwer ist, die beiden Welten zusammenzubringen – ihr Glaubensleben und ihren Sport? Sr. Gabriele zuckt bei dieser Frage nur die Achseln. Für sie gehört beides zusammen. „In der ignatianischen Spiritualität, in der wir Schwestern der Congregatio Jesu leben, geht es darum, mein Leben daraufhin zu durchdringen, wo Gott sich finden lässt. Das ist dann durchaus an ganz überraschenden Orten. Da braucht es Mut, Durchhaltevermögen, Kreativität – und manchmal auch einen neuen Ansatz. Für mich ist Judo genau dafür ein gutes Handwerkszeug.“ Mit den Jahren ist ihr Sport ihr ein gutes Bild für die „Schule Gottes“ geworden, von der der heilige Ignatius spricht: „Es geht darum, unterscheiden zu lernen, wann etwas von mir gefragt ist, wann mein Einsatz dran ist, wo ich Verantwortung für mich und andere übernehmen kann. Da muss ich manchmal ein Risiko eingehen, etwas wagen, mich verletzbar machen. Manchmal gehört auch Mut dazu, im richtigen Moment den Mund zu halten. Angepasst an die Situation reagieren, den Blick weiten, die Realität des anderen wahrnehmen – das können wir beim Judo üben.“

Fotos: privat

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